Arab Strap: I’m totally fine with it ? don’t give a fuck anymore ?

Das schottische Duo Arab Strap ist ein besonderes. Aidan Moffat murmelt seine Geschichten über Pub-Erfahrungen und mit Frauen ins Mikrofon. Dazu spielt sein Partner Malcolm Middleton Gitarre; es ertönen Drumcomputer und Samples. Eigentlich ein simples Setting, das aber seit 1995 hervorragend funktioniert – sieht man von einer zwischenzeitlichen zehnjährigen Pause ab. Auf das 2021er Comebackalbum „As Days Get Dark“ folgt jetzt ihr mittlerweile achtes Studioalbum „I’m totally fine with it ? don’t give a fuck anymore ?“.

Wieder arbeiteten sie mit ihrem langjährigen Produzenten Paul Savage zusammen und wieder veröffentlichen sie auf Rock Action Records, dem Label ihrer Freunde von Mogwai. Moffat spricht im Zusammenhang mit dem Album von „stiller Wut”, die den Songs innewohnt. Sie handeln von Verschwörungstheorien, Onlinesucht und den vergessenen Seelen unseres vernetzten Planeten. „Wir versuchen nicht, wie die alten Arab Strap zu klingen. (…) Es fühlt sich an wie zwei verschiedene Bands“, so Moffat.

Das trifft auch auf die Musik zu. Der Opener „Allatonceness“ ist ein repetitiver Noiserocker, auf den die Mumble-Indie/Electro-Ballade „Bliss“ folgt. Arab Atrap verlassen ihre Komfortzone, experimentieren viel und klingen poppiger, ohne sich beliebig anzuhören oder im Mainstream zu fischen (siehe „Summer Season“). „Strawbeery Moon“ ist Moffats persönlichster Song und ein Potpourri, in das sie alles, was sie können, reingepackt haben. Er handelt von einer Zeit, in der es ihm sowohl geistig als auch körperlich nicht besonders gut ging. Dabei beobachtete er die Mondphasen durch ein Fenster. „Der Mond ist immer ein Trost, immer hoffnungsvoll, und bringt mich immer zum Lächeln.“ Im Idealfall gilt das auch für die Musik von Arab Strap.

Beth Gibbons: Lives Outgrown

Im Januar ist Beth Gibbons, die Stimme und Texterin von Portishead, 59 Jahre alt geworden. Nachdem sie mit den TripHop-Meistern aus Bristol zwischen 1994 und 2008 drei grandiose Studioalben und mit dem früheren Talk Talk-Bassisten Paul Webb alias Rustin Man das gemeinsame Album „Out Of Season“ (2002) veröffentlicht hatte, erschien vor fünf Jahren ein Livealbum von ihr: „Henryk Górecki: Symphony No. 3 (Symphony Of Sorrowful Songs)“. Aber erst jetzt veröffentlicht sie unter dem Titel „Lives Outgrown“ ihr Solodebüt.

Wieder arbeitete sie mit einem früheren Talk Talk-Mitglied zusammen. Dieses Mal war es Schlagzeuger Lee Harris, der auch schon für „Out Of Season“ trommelte. Auf ihn wartete eine außergewöhnliche Aufgabe: Gibbons war den üblichen Schlagzeugsound leid. Daher kamen andere Objekte zum Einsatz: eine Holzschublade, mit Erbsen gefüllte Dosen, eine Paella-Schüssel, ein Blech, eine Wasserflasche aus Kuhfell als Snare und eine Kiste voller Gardinen als Kick-Drum. All das wurde meist nur mit weichen Paukenschlägern bespielt. Zum weiteren Instrumentarium zählten eine Gitarre, ein Hackbrett, Röhren, eine Laute, eine Art Kontrabass und Löffel, die auf die Saiten eines Klaviers geschlagen wurden.

Keine Frage: „Lives Outgrown“ klingt ungewöhnlich. Wegen der Instrumentierung, wegen Gibbons unverwechselbarer Stimme und wegen der Dramatik und der Melancholie, die den Songs über Mutterschaft, Angst, die Wechseljahre und Sterblichkeit innewohnt. Man kann durchaus die Entwicklung von Portishead anno 1994 zu Gibbons im Hier und Jetzt erkennen. Wobei „Lives Outgrown“ kein TripHop-Album ist, wie man unter anderem an „Whispering Love“, einer Akustikballade mit Vogelgezwitscher und Hühnergackern, feststellen kann.

Pearl Jam: Dark Matter

Die ersten Vorboten des neuen Pearl Jam-Albums ließen aufhorchen. Mitte Februar erschien der Titelsong „Dark Matter“. Kurzer Tribal-Schlagzeug-Einsatz, ein kräftiges Gitarrenriff, das einen dynamischen, vor Selbstbewusstsein strotzenden Song ankündigt. Wer in den letzten Jahren den Eindruck hatte, die Grungerock-Heroen würden sich zu schnöden Stadionrockern degradieren, der wird dank „Dark Matter“ große Augen machen. Das unterstrich jüngst auch die flotte zweite Auskopplung „Running“, die ihrem Titel gerecht wird. Pearl Jam sprinten drauf los. Da steckt tatsächlich noch einiges in den „alten“ Knochen der Herren um Sänger Eddie Vedder, den leider letzten noch lebenden, großen Grunge-Frontmann. Er hat bereits Kurt Cobain (1994, Nirvana), Layne Staley (2002, Alice In Chains), Chris Cornell (2017, Soundgarden) und Mark Lanegan (2022, Screaming Trees) überlebt. Hoffentlich bleibt das auch noch lange so.

Eröffnet wird „Dark Matter“ durch „Scared Of Fear“, dessen Energie sofort alle alten Geister weckt und auf die frühen Glanztaten der Band verweist. Das noch temporeichere und härtere „React, Respond“ schlägt in eine ähnliche Kerbe. Die Band scheint vom Jungbrunnen genippt zu haben. Da ist nichts von Resteverwertung oder einem Ausruhen auf längst verwelkten Lorbeeren zu spüren. Die Band, also neben Vedder die Gitarristen Stone Gossard und Mike McCready, Bassist Jeff Ament und Schlagzeuger Matt Cameron (auch von Soundgarden bekannt), legt sich mächtig ins Zeug. Natürlich gibt es auch ruhige Nummer wie beispielsweise „Wreckage“ und „Setting Sun“. Der Gesamteindruck des von Andrew Watt (Ozzy Osbourne, Miley Cyrus, Post Malone) produzierten Werks ist letztlich der einer Band, deren Geschichte noch nicht zu Ende erzählt ist. Die Lust ist groß, einige dieser Songs, gepaart mit Klassikern, live zu hören.

Einstürzende Neubauten: RAMPEN (apm: alien pop music)

„RAMPEN (apm: alien pop music)“ – so haben die Berliner Avantgardisten Einstürzende Neubauten ihr neuestes Schaffenswerk betitelt. Sänger Blixa Bargeld hat in einem begleitenden Text erklärt, was es mit dem Titel auf sich hat: Seine Band habe immer schon improvisiert, früher vermehrt, aber auch heute noch bei Konzerten. „Im Neubauten-Lingo wurden und werden diese Improvisationen vor Publikum ‚Rampen‘ genannt, Rampe im Sinne von Abschussrampe.“ Auf ihrer 2022er Tour sprachen sie sich minimal ab, wer was wann mit welchem Instrument macht. Bargeld spricht von „gestützten Rampen“. 23 Rampen waren es während der Tour, von denen sie die 14 besten im Frühjahr und Frühsommer 2023 im Candy-Bomber in Berlin zu dem vorliegenden Album werden ließen. Das enthält mit dem meditativ-repetitiven „Planet Umbra“ noch eine spontan im Studio entstandene 15. Rampe.

„RAMPEN (apm: alien pop music)“ ist ein Album für alle Neubauten-Hörer. Ergo die, die das Vertrackte, Verspielte und Wahnsinnige der Band lieben („Ist Ist“), und auch für diejenigen, die es eingängiger und strukturierter mögen („Es könnte sein“, „Tar & Feathers“). Es ist also nicht immer fremdartige Musik, aber manchmal schon. Insofern hat der Zusatz „apm: alien pop music“ seine Berechtigung. Man könnte diesen auch anders interpretieren: Was Einstürzende Neubauten vollbringen, ist wie von einem anderen Planeten. Sie haben ihren eigenen, mysteriösen Klangkosmos erschaffen, in dem sie sich frei Schnauze austoben. Das ist auf „RAMPEN (apm: alien pop music)“ nicht anders. Diesmal singt und spricht Bargeld auf Englisch, meist auf Deutsch und in „Ick wees nich (Noch nich)“ gar auf Berlinerisch. Das ist höchst amüsant und eines der vielen liebevollen Details auf diesem Album.

Gruff Rhys: Sadness Sets Me Free

Gruffudd Maredudd Bowen Rhys heißt der 53-jährige walisische Musiker Gruff Rhys gebürtig. Er wurde als Mitglied der eigenwilligen Super Furry Animals bekannt. Die pausiert seit 2016, weshalb Rhys am laufenden Band Soloalben veröffentlicht. Sein erstes erschien bereits im Jahr 2005, hieß „Yr Atal Genhedlaeth“ (walisisch für „Die stotternde Generation“) und enthielt walisische Texte. Auf seinem aktuellen achten Album „Sadness Sets Me Free“ singt er auf englisch.

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Idles: Tangk

Egal, wie viele Künstler einem über die Jahre ans Herz wachsen, es wird immer absolute Favoriten geben. Zu diesen zählen für den Verfasser dieser Zeilen seit 2018 die britischen Postpunker Idles. Seitdem wuchs die Anziehungskraft kontinuierlich an. Ihr zweites Album „Joy As An Act Of Resistance“ ein paar Mal gehört fand das erste Liveerlebnis im Sommer 2018 statt – nachmittags auf dem Festival „Rocco Del Schlacko“ vor geschätzten 100 Fans. Die Darbietung war intensiv und hinterließ großen Eindruck. Im April 2019 wurden Idles im gut gefüllten Rotondes erneut begutachtet. Da war es um den Verfasser längst geschehen. Im Sommer desselben Jahres der Auftritt auf dem Festival „Siren’s Call“ im Melusina wird für immer unvergessen bleiben. Was ein Abriss. Diese Hingabe, diese Energie. Idles (durch)leben ihre Songs auf der Bühne.

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Sprints: Letter To Self

Auf der Insel ist die Aufregung um die Post-Punk-Band Sprints schon recht groß. Aber Hysterie ist bei der britischen Musikpresse nichts Neues. Sprints stammen aus dem irischen Dublin, der Heimat der artverwandten Bands Fontaines D.C. und The Murder Capital. Braucht man wirklich noch einen Act aus Dublin, der diesen Sound macht? Die eindeutige Antwort ist: ja!

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Culk: Generation Maximum

Es ist bemerkenswert, wie nuschelig Sophie Löw singen kann. Sie klingt mitunter, als hätte sie ein paar Betäubungsmittel nehmen müssen, um dennoch imstande zu sein, sich irgendwie zu artikulieren und ihre Melancholie in Worte zu fassen. So wie die ersten Zeilen des neuen Albums ihrer Band Culk: „Wer hinsieht wird vor Tränen nicht mehr sehen / Wir können nicht nur mehr daneben stehen / Salz und Wasser schwemmen unserer Augen / Verschwommener der Glaube an uns / Wir verhärten und werten unserer Körper und vereinen uns nur im Überfluss“ (aus „Willkommen in der Hedonie“). Somit ist der Ton für diese folgenden beeindruckenden Songs gesetzt.

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All Diese Gewalt: Alles Ist Nur Übergang

Max Rieger ist in Deutschlands Musikszene alles andere als ein Unbekannter. Zum einen ist der 1993 geborene Schwabe seit 2010 Sänger und Gitarrist der von der Kritik stets mit viel Lob bedachten Indieband Die Nerven. Im selben Jahr war er auch Mitbegründer der EBM/New Wave-Band Die Selektion, die er jedoch anno 2012 zu Gunsten von Die Nerven verließ.

Rieger hat sich über die Jahre ein großes Knowhow angeeignet und wurde zu einem gefragten Produzenten und Songschreiber, der schon mit den erfolgreichen deutschen Indie-Künstlerinnen und -künstlern Drangsal (2018er Album „Zores“), Ilgen-Nur (2019er Album „Power Nap“), Casper (2020er Album „Alles war schön und nichts tat weh“) und Mia Morgan (2022er Album „Fleisch“) gearbeitet hat. Geschmack hat er.

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David Eugene Edwards: Hyacinth

Bei all den Millionen Sängerinnen und Sängern weltweit, ist es immer wieder erstaunlich, dass man eine Stimme als unverkennbar wahrnimmt. David Eugene Edwards Gesang hat etwas, der ihn außergewöhnlich macht. Eine Tiefe, eine Verletzlichkeit, etwas Mystisches, eine magische dunkle Anziehungskraft sogar. Edwards zuzuhören bedeutet, einen pechschwarzen Raum zu betreten. Dort entfaltet sich sein Talent, wie ein Prediger und nicht wie ein gewöhnlicher Sänger zu erscheinen – ähnlich wie es einem mit Nick Cave ergeht, der ebenfalls eine unglaubliche stimmliche Präsenz hat. Das kristallisierte sich im Falle Edwards, dessen Vater tatsächlich Prediger war, schon heraus, als er zwischen 1992 und 2005 mit 16 Horsepower Alternative Counryrock machte. Nach vier Studioalben war leider Schluss, und Edwards konzentrierte sich auf seine Band Wovenhand (auch Woven Hand geschrieben). Die spielt einen etwas düstereren Alternative Country(rock) als 16 Horsepower. Seit 2002 haben Wovenhand zahlreiche Alben veröffentlicht, das jüngste ist „Silvers Sash“ vom Februar 2022.

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BC Camplight: „The Last Rotation Of Earth“

Der US-Musiker BC Camplight, der mit bürgerlichem Namen Brian Christinzio heißt, lebt schon eine Weile in Liverpool und hat bereits ein paar tolle Alben veröffentlicht. In Großbritannien wird er gern gehört. Allerdings von einer Berühmtheit zu sprechen, wäre stark übertrieben. Wahrscheinlich ist seine Musik zu eigenwillig oder er zu offen hinsichtlich seines Seelenlebens. Er verheimlicht nicht, wie es ihm geht. Hinter ihm liegen eine Alkoholsucht, eine schmerzhafte Trennung von seiner Verlobten und Depressionen. BC Camplight hat viele Päckchen zu tragen (gehabt). In Marc Rileys „BBC 6Music“-Radioshow erklärte er dieser Tage, auch wenn es nach außen nicht so wirkt: er breche privat ständig zusammen. Er ist eine ehrliche Haut und das macht ihn so sympathisch.

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Metallica: 72 Seasons

Metallica haben dieser Tage „72 Seasons“ veröffentlicht, den Nachfolger zu ihrem starken Spätwerk „Hardwired… To Self-Destruct“ aus dem November 2016. Grund genug, einen Blick auf ihre sich über bereits fünf Dekaden erstreckende Karriere zu blicken. Was heißt, sich mit einer sehr bewegten Karriere zu beschäftigen, im Verlauf derer die Treue ihrer Fans mehrfach auf die Probe gestellt wurde.

„72 Seasons“ ist das elfte Studioalbum der (Thrash) Metal-Band. Die wurde Ende 1981 in Los Angeles gegründet, nachdem der dänische Schlagzeuger Lars Ulrich in der örtlichen Zeitung „The Recycler“ eine schlichte Annonce mit folgendem Wortlaut aufgegeben hatte: „Drummer sucht weitere Metalmusiker, um mit Tygers Of Pan Tang, Diamond Head und Iron Maiden zu jammen.“ Davon angesprochen fühlte sich unter anderem Gitarrist/Sänger James Hetfield. Zusammen mit Ron McGovney (Bass) und Gitarrist Dave Mustaine komplettierte er das erste Line-up. Für McGovney kam 1982 Cliff Burton und ein Jahr später ersetzte Kirk Hammett den heutigen Megadeth-Chef Mustaine. Damit war die legendäre Besetzung perfekt, die das Debütalbum „Kill ‘Em All“ (Juli 1983), dessen Nachfolger „Ride The Lightning“ (Juli 1984) und „Master Of Puppets“ (März 1986) einspielte. Je nach dem wen man nach seinem Metallica-Lieblingsalbum fragt: ältere Fans werden sich größtenteils für eines der drei entscheiden. Der Autor dieser Zeilen favorisiert übrigens „Master Of Puppets“. Vielleicht auch, weil es das letzte Album mit Ausnahmebassist Burton war. Am 27.09.1986 verstarb er bei einem Tourbusunglück in Schweden viel zu früh im Alter von 24 Jahren. Die Metalwelt war kurz in Schockstarre – vergleichbar mit dem tragischen Tod des begnadeten Ozzy Osbourne-Gitarristen Randy Rhoads am 19.03.1982.

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