Die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ schrieb vor dreieinhalb Jahren über die Australierin Courtney Barnett, sie stehe mit „einem Bein im Grunge“ und in der „Tradition der wild wuchernden Folk-Lyrik und des Talking Blues“ eines Woody Guthrie und Bob Dylan. „Sometimes I Sit And Think, And Sometimes I Just Sit“, das Debütalbum der jungen Singer-Songwriterin, wurde nahezu überall in den Himmel gelobt und landete in einigen Jahresbestenlisten. Wenig verwunderlich, denn Barnett überzeugte auf Anhieb, weil sie einerseits im Stile einer Polly Jean Harvey ihren Unmut herausschrie und dabei den Verzerrer ihrer E-Gitarre einschaltete und andererseits ruhige Lieder abseits des Massenstroms zum Besten gab.
Barnett, die vor ihrer Solokarriere Bassistin in der Grungerock-Band Rapid Transit und danach Gitarristin in der Psychedelic Folk-Band Immigrant Union war, wurde 1988 in Northern Beaches, Sydney, geboren. In Melbourne gründete sie 2012 ihr eigenes Label Milk! Records, auf dem im April 2012 ihre Debüt-EP „I‘ve Got A Friend Called Emily Ferris“ erschien. Nachdem diese in ihrer Heimat schon sehr wohlwollend aufgenommen worden war, feierte sie mit ihrem zweiten Minialbum, „How To Carve A Carrot Into A Rose“ (2013), auch international einen ersten Achtungserfolg. Beide EPs erschienenen 2014 weltweit auf dem Album „The Double EP: A Sea Of Split Peas“. Es folgten ihr eingangs erwähntes Debütalbum sowie im letzten Jahr „Lotta Sea Lice“, ihr gemeinsames Album mit dem begnadeten Kurt Vile, auf dem sie ihr manchmal wildes Temperament allerdings im Zaum halten musste.
Ihr zweites Soloalbum „Tell Me How You Really Feel“ (Marathon Artists/Kobalt/Rough Trade) beginnt sie ebenfalls mit angezogener Handbremse: dem melancholischen „Hopefullness“, das sich ganz sachte und mit wachsender Instrumentierung und Eindringlichkeit aufbaut. Es ist ein Auftakt nach Maß, der im Gitarrenfeedback endet. Die PJ Harvey-Vergleiche ziehen dieses Mal nicht mehr so gut, aber die Balance aus melancholischen und beschwingten Songs ist geblieben. Zu letzteren zählen „City Looks Pretty“, die Singleauskopplung „Nameless, Faceless“, in der Kim Deal (The Breeders) mitwirkt, und „Crippling Self-Doubt And A General Lack Of Confidence“, in dem Kims Schwester Kelley Deal (ebenfalls The Breeders) zu hören ist. Hier kommt Barnetts Vorliebe für den guten alten Grunge, der derzeit auch einige andere Künstler/Bands inspiriert (siehe Wolf Alice oder Bully), voll zur Geltung. Das teils schräge „Help Yourself“ wiederrum ist ein Paradebeispiel für ihre Lässigkeit und Unbekümmertheit, mit der sie ihre Songs vorträgt. Wenn sie sich diese Eigenschaften bewahrt sowie ihr Talent, ihre Songs so abwechslungsreich zu instrumentieren und die Stimmungen von Song zu Song zu variieren, kann sie noch weiter aufsteigen. Zu gönnen ist es ihr allemal.
Kai Florian Becker (Juni 2018)