Jugendliche Unbekümmertheit hat der Rockmusik noch nie geschadet. Sängerin Arrow De Wilde (19 Jahre alt), Gitarrist Henri Cash (17), Bassist Tim Franco (21) und Schlagzeuger Austin Smith (22) sind ein aktuelles Beispiel für diese These. Sie stammen aus Los Angeles, wo sie 2015 an einer Schule in Echo Park als Starcrawler zusammenfanden. Ob sie die neuen Heilsbringer des Rock’n’Roll werden, wie es einige Kritiker vermuten, bleibt abzuwarten. Für ein beachtliches Gitarrenrock-Debüt („Starcrawler“) hat es aber schon gereicht. Ein Gespräch mit Gitarrist Cash.
Stimmt es, dass Sie noch zur Highschool gehen?
Ich bin mittlerweile nicht mehr auf der Schule. Aber das war zu Beginn unserer Band so.
War es schwierig, zugleich Schüler und ambitionierter Musiker zu sein?
Oh ja. Die Schule wollte uns nämlich verbieten, auf Tour zu gehen. Dann hätten wir ja zu viele Schultage verpasst. Da es eine öffentliche Schule ist, machen sie kein Geld, wenn wir nicht da sind. Sie haben viel Wirbel um uns veranstaltet und uns harte Sanktionen und Geldstrafen angedroht, nur damit wir keine Fehltage haben. Aaron machte kurz vor unserer ersten Tour ihren Abschluss, ich indes verließ die Schule.
Sie gingen ohne Abschluss ab?
Ja, aber ich hoffe, ich kriege demnächst das sogenannte Gut-genug-Diplom, das mir attestiert, den gleichen Wissenstand wie ein Highschool-Absolvent zu haben. Dann sehen alle, dass ich es wenigstens versucht habe.
Wie fand Ihre Band denn zusammen?
Arrow und Austin jammten zusammen. Sie lief mir in der Schule über den Weg. Seinerzeit spielte ich auf der Kunstschule Tuba. Sie sah mich öfters mit dem Instrument heraumlaufen. Dabei trug ich immer Rock-T-Shirts von The Cramps und dergleichen. Sie nahm an, dass ich auch andere Instrumente außer Tuba spielen kann – insbesondere Gitarre – und meinte: „Hallo, spielst du Gitarre und willst du bei mir mitspielen?“ Ich sagte direkt zu. (lacht) Es war schon wie ein Schock für mich. Ich sagte einfach „Na klar“ und ab dem Moment hingen wir miteinander ab und schrieben bald darauf Songs.
Wie kamen Sie als Rockfan zur Tuba?
Ich stand immer schon auf klassische Musik, obwohl ich mit Rockmusik aufwuchs und mir meine Eltern schon früh Platten von AC/DC vorspielten. Dann ging ich zur Kunstschule und fing mit klassischer Musik an. Meine Lehrerin stammte aus der Ukraine und hatte in Russland Musikunterricht genossen. Sie war eine strenge Lehrerin, brachte mir aber verschiedene Blasinstrumente und Percussions bei. Ich spielte auch in einigen Orchestern und hatte eigentlich vor, am College Percussions zu studieren. Aber dann kam es ganz anders.
Sie sind es also gewohnt, vor Publikum aufzutreten?
Ja, auch mit den Rockbands, in denen ich zuvor war. Mir macht es Spaß, alle möglichen Musikrichtungen und Instrumente auszuprobieren. Gerade mit einem Orchester zu spielen, reizt mich sehr. Es ist was völlig anderes als das, was ich mit Starcrawler erlebe.
Sie sind erst 17 Jahre alt und haben schon einiges erlebt. Das ist beeindruckend.
Keine Ahnung, ich war immer sehr geschäftig. Nach der Schule ging ich ins Konservatorium, um Tuba zu spielen. Ich war jeden Werktag von 8 bis 20 Uhr im Treiben. Selbst samstags studierte ich Musik. Das änderte sich erst, als ich von der Schule abging. Da wurde alles etwas entspannter.
Arrows Mutter ist Autumn De Wilde, eine bekannte Rockfotografin; ihr Vater ist Aaron Sperske, der ehemalige Schlagzeuger von Beachwood Sparks. Wie zu lesen war, sollen ihre Liveperformances grandios sein. Sie scheint den Rock’n’Roll im Blut zu haben.
Wenn deine Eltern Musiker sind bzw. du immer von Musik umgeben bist, wächst du definitiv anders auf. Dann ist Musik etwas ganz Natürliches für dich. Sie ist Teil deines Lebens. Arrow hat es wirklich im Blut. Abseits der Bühne ist sie sehr scheu; aber auf der Bühne tut sie Dinge, zu denen sie sonst nicht imstande ist.
Sie verfügen scheinbar über ein gutes Netzwerk, denn niemand geringeres als Ryan Adams hat ihr Debütalbum produziert. Der ist eine große Nummer für eine Newcomerband.
Er sah auf Instagram ein Video von uns und kontaktierte Arrows Mutter. Er fragte sie, wann wir das nächste Mal live auftreten würden. Sie gab ihm unsere E-Mail-Adresse und wir schrieben ein paar Mal hin und her. Schließlich besuchte er eine unsere Shows und mochte uns auf Anhieb. Also lud er uns in sein Studio ein, um ein paar Aufnahmen zu machen. Nur so aus Spaß eigentlich und auf Tonband, was heutzutage ja nicht mehr alltäglich ist. Er half uns auch bei den Arrangements und brachte uns einiges in Sachen Songwriting bei. Die Songs waren zwar fertig, doch er lehrte uns Simplizität, die gerade bei Liveaufnahmen im Studio essentiell ist. Es war großartig.
Das britische Magazin Gigwise nannte Starcrawler die beste Band, die Rough Trade Records seit Jahren unter Vertrag genommen hat. Wir reden hier von einem renommierten Indielabel.
Das war nicht schlecht, ja. Wir hatten das Album schon fertig, als wir nach einem geeigneten Label suchten. Doch keines antwortete uns. Von Rough Trade hatten wir uns alle eine positive Reaktion erhofft. Dann besuchten sie tatsächlich eines unserer Konzerte. Das war der absolute Hammer. Rough Trade war unsere erste Wahl, und es hat tatsächlich geklappt.
Ihre Karriere ist noch jung, aber bereits im vollen Gange. Elton John und Dave Grohl outeten sich als große Fans ihrer Band. Ist es schwierig, bei all der Aufregung nicht den Verstand und den Boden unter den Füßen zu verlieren?
Ich weiß nicht. Ich mache mir darüber eigentlich keine Gedanken. Wir sind einfach zu sehr mit uns beschäftigt und arbeiten ständig. Es fühlt sich toll an, wenn einen solche Musikgrößen loben. Aber dann machen wir auch wieder mit unserer Arbeit weiter, schreiben Lieder, nehmen auf, spielen live… Wir haben gar keine Zeit, um unsere Karriere zu reflektieren. (lacht)
Kai Florian Becker (Mai 2018)