Mit seinem nach ihm benannten ersten Album sorgte der britische Musiker James Blake für viele offene Münder. Er brillierte mit einer Musik, die vor zwei Jahren im Mainstream noch weitgehend unbekannt war. Insofern ist sein damaliger Erfolg umso höher zu bewerten.
Die minimalistischen Lieder seines Debüts setzen sich aus Electro, Dubstep und Soul zusammen. So neuartig diese Kombination war, in seiner Heimat erreichte er damit in den Albumcharts Rang neun, hierzulande immerhin Platz 27. Der bekannteste Song auf „James Blake“ war „Limit To Your Love“. Der wurde von Leslie Feist und Chilly Gonzales komponiert und erschien 2007 erstmals auf Feists Album „The Reminder“. Blakes Coverversion war mit ein Grund, warum „James Blake“ weltweit über 400.000 Mal verkauft wurde.
Nun, zwei Jahre später, legt der 24-Jährige sein zweites Album vor. Stilistisch geht er ähnliche Wege wie bei seinem Erstling. Sein Vater, der Musiker James Litherland, riet ihm allerdings, diesmal möglichst auf sein eigenes Talent zu vertrauen. Diesen Rat befolgte Blake. Er schrieb die neuen Songs nahezu im Alleingang. Die Fremdleistungen auf „Overgrown“ sind gering: Bei der Komposition des lebendigen, tranceartigen „Digital Lion“ wurde ihm von Brian Eno und Rob McAndrew, einem Freund aus Kindertagen, assistiert. Ansonsten hatte er im Studio noch Besuch von einem Percussion-Spieler („Overgrown“), dem eben erwähnten McAndrew an der Gitarre („Digital Lion“) und Wu-Tang Clan-Rapper RZA („Take A Fall For Me“). Den Rest erledigte Blake selbst – und das sehr gut.
Das zentrale Stück des Albums ist „Overgrown“. Blake schrieb es auf einem Flug von Los Angeles nach London. Kurz zuvor hatte er Joni Mitchell kennen gelernt, die sein Konzert besuchte. Sie unterhielten sich darüber, wie man als Künstler überleben kann, ohne an Relevanz zu verlieren. Das inspirierte ihn zu besagtem Song, in dem es heißt: „I don’t wanna be a star, but a stone on the shore / Ich will kein Star sein, sondern ein Stein am Strand.“ Wundervoll. Tatsächlich scheint Blakes Musik aufgrund ihrer Einzigartigkeit eine hohe Halbwertszeit zu haben.
In seiner eigenen Nische gibt sich Blake zudem vielfältig. Für „Retrograde“ kombinierte er Beats, Keyboard und seine mit Effekten verfremdete soulige Klagestimme. In „DLM“ sind ein Piano (oder auf Piano getrimmtes Keyboard?) und verschiedene übereinander gelegte Gesangspuren zu hören. Sie erwecken den Eindruck, ein Chor würde singen. Und dann sind da noch dieses phänomenale „Digital Lion“, das sich einem ins Hirn bohrt, und die futuristische Ballade „To The Last“. Endlich mal wieder ein Künstler, der sein Niveau halten kann.
Kai Florian Becker (April 2013)