Neurosis: Honor Found In Decay

Es gibt das perfekte Timing. Wenn ein Album zu dem genau richtigen Zeitpunkt erscheint und die Stimmung darauf die aktuelle im Leben widerspiegelt oder repräsentiert. Just geschah das so mit dem neuen Album von Neurosis.

„Honor Found In Decay“ ist das erste Lebenszeichen der Band seit fünf Jahren. Die wegweisenden Psycho-Metaller machen sich seit Längerem rar, touren kaum noch (zumindest nicht mehr so exzessiv wie vor vielen Jahren) und haben ihr Arbeitspensum drastisch reduziert. Wenn sie allerdings fünf Jahre benötigen, um ein solch irrsinnig gutes Album wie dieses zu komponieren, dürfen sie sich beim nächsten Mal auch gerne wieder so lange Zeit lassen.

Im Bekanntenkreis gibt es ehemalige Neurosis-Fanatiker, die sich längst von der Band abgewandt haben, weil sie ihre Musik nicht mehr als essentiell erachten und nicht mehr als eine Bereicherung für ihren persönlichen musikalischen Kanon. Welch kapitaler Fehler. „Honor Found In Decay“ hat all das, was diese Band immer ausgezeichnet hat: Dichte, kompakte Songs, bei denen kein Ton zu viel und definitiv auch keiner zu wenig ist, eine durchweg düstere Stimmung, eine unglaubliche Intensität, Einfallsreichtum, viel Rhythmik, tolle Percussions, die altbewährte Vorliebe für fortwährende Wiederholung gewisser Songparts und obendrein eine Weiterentwicklung im Vergleich zu früheren Werken.

Wie die mittlerweile über die ganze USA verstreuten Herren es schaffen, im 27. Jahr ihrer Bandkarriere ausufernde, bis zu zwölfminütige Songs zu schreiben, die einen keine Sekunde langweilen, bleibt ihr Geheimnis. Vielleicht liegt es daran, dass sie die Songs als Gemeinschaft schreiben und einen Produzenten an ihrer Seite haben, der zu den allerbesten und fanatischsten zählt: Steve Albini.

Sie haben diesmal sieben Songs erschaffen, die sich auf knapp über 60 Minuten erstrecken und wie in einer übersinnlichen Reise durch das eigene Ich bestens dazu geeignet sind, die Seele reinzuwaschen und sich von allem Negativen zu befreien. Klingt hochtrabend, doch dazu ist Musik durchaus fähig, sofern man sich ihr öffnet und sie zur rechten Zeit verfügbar ist.

Kai Florian Becker (Oktober 2012)