The Mars Volta: Noctourniquet

The Mars Volta sind keine Kinder von Traurigkeit. Wer sich eines ihrer Alben zulegt, sollte wissen, dass er sich auf einiges gefasst machen muss. Da stellt der neueste Streich namens “Noctourniquet” keine Ausnahme dar.

Aufgenommen wurde das sechste Studioalbum in der Besetzung Omar Rodríguez-López, dem Kopf, Gitarristen und Produzenten der Band, Sänger Cedric Bixler-Zavala, Bassist Juan Alderete, Keyboarder Marcel Rodríguez-López und Neuzugang Deantoni Parks, der am Schlagzeug Unglaubliches vollbringt. Nachzuhören in “Aegis” und “Dyslexicon”. Parks drischt derart hektisch auf die Snare- und Bassdrum ein, so dass man meinen könnte, er stünde unter Starkstrom. Wäre da nicht diese beeindruckende Präzision. Irre.

Nicht mit im Studio dabei waren Isaiah Ikey Owens (Keyboard), der anscheinend aus der Band gekegelt wurde, und der ehemalige Red Hot Chili Peppers-Gitarrist John Frusciante, der auf den vorherigen Alben Gast war. An der Hierarchie innerhalb der Band hat sich derweil nichts geändert. Die Federführung hatte erwartungsgemäß Omar Rodríguez-López. Er komponierte ein Album basierend auf dem Comic-Bösewicht Solomon Grundy, einem riesigen Zombie, der schon gegen Batman und Superman gekämpft hat, und auf griechischer Mythologie, speziell auf der Geschichte des schönen Jünglings Hyakinthos, Sohn des Spartaner-Königs Amyklas.

Mit antiker Musik hat “Noctourniquet” aber nichts gemein. Verspielter, kunterbunter und von Neo-Hippies dargebotener progressiver Rock ist Trumpf. Nichts für Zartbesaitete und nur je nach Tagesform restlos genießbar. Aber Musik darf auch mal den Geist fordern, statt nur stumpf einzulullen. The Mars Volta schlagen in ihren Liedern Haken, überraschen den Hörer und zeigen ihm Klangwelten weit jenseits des Massengeschmacks auf. “Noctourniquet” ist farbenfroh wie ein Kaleidoskop: malerisch (“Empty Vessels Make The Loudest Sound”), psychedelisch bis drogengeschwängert (“Imago”), klug rockend (“Molochwalker”), seltsam märchenhaft (“Lapochka”, “Trinkets Pale Of Moon”) oder verworren elektronisch (“In Absentia”).

Omar Rodríguez-López’ Versprechen, ein Album mit “hypnotischen Melodien und Grenzgänger-Elektro-Ambient” abzuliefern, hat er eingelöst. Wer sich darauf einlässt, den erwarten 65 teils anstrengende, sicherlich aber ebenso spannende Minuten mit vielen genialen Momenten.

Kai Florian Becker (April 2012)