My Morning Jacket: Circuital

My Morning Jacket: Mit Frauenchor in der Leichenhalle
Ein Musikkritiker ist immer auch Musikfan und damit subjektiv. Alexis Petridis, Kritiker der britischen Tageszeitung “The Guardian“, schrieb unlängst in einem hervorragenden Artikel über die Tatsache, dass er in Sachen Musik-Rezeption von seiner vierjährigen Tochter noch etwas lernen könne: Der Job des Musikkritikers sei es, die Leser vom eigenen Geschmack zu überzeugen. Stimmt! Insofern sollen die nächsten Zeilen dazu dienen, jeden von der Rock-Band My Morning Jacket, genauer gesagt von deren Album “Circuital”, zu überzeugen.

War deren letztes Werk “Evil Urges” eine erste kleine Enttäuschung in einer Kette hervorragender Alben – die Herren aus Louisville, Kentucky, hatten ganz unerwartet eine Vorliebe für Prince und die Vermählung von Progrock mit Pop erkennen lassen – konzentrieren sie sich diesmal wieder auf jene Art Rockmusik, mit der sie sich aus dem Untergrund in die großen Hallen gespielt haben: Rock mit Country-, Soul- und psychedelischen Anleihen.

Jim James, Kopf, Sänger und Gitarrist der Band, gibt zwar zu, den Ausdruck “zurück zu den Wurzeln” nicht zu mögen. Doch letztlich seien die Aufnahmen zu “Circuital” nichts anderes gewesen. Wie der Titel schon andeutet schließt sich hier ein Kreis, und mit der Rückbesinnung auf alte Stärken hat das Quintett die besten Songs ihrer nun 13 Jahre währenden Laufbahn aus dem Hut gezaubert.

In der Ballade “Wonderful (The Way I Feel)” erklingen über weite Strecken nur eine Akustikgitarre, Streicher und James’ unverkennbare Kopfstimme. Gar zum Auf-die-Knie-sinken ist “Holdin On To Black Metal”, ein gnadenlos cooler Zeitlupen-Soulrocksong, in dem James lamentiert: “Oh Black Metal you’re so misunderstood”. Garniert wird dies mit plötzlichen Bläsereinsätzen, Fuzz-Gitarren und einem Chor, der wie ein Kinderchor klingt, allerdings ein Frauenchor ist und seinen Part in einer Leichenhalle (!) eingesungen hat. Doch das ruft keine Gänsehaut hervor. Die geht auf die Vollkommenheit dieser Komposition zurück.

Die Songs wurden im Übrigen nicht in einer Leichenhalle, sondern in Louisville in dem Fitnessraum einer Kirche (Soll es geben!) aufgenommen und das live, das heißt gleichzeitig Instrumente und Gesang. Heutzutage eine äußerst seltene, früher eine durchaus gängige Praxis. Aber viel interessanter ist: Kirche und eine Ode an den Black Metal? Das hat natürlich was.

Kai Florian Becker (Juni 2011)