Elbow: The Seldom Seen Kid

Man stelle sich vor, ein musikalisches Stimmungstief käme auf, das an die seligen Talk Talk, an Tindersticks und an Spiritualized erinnere. Elbow müsste es dann heißen, denn deren neues Album “The Seldom Seen Kid” (Fiction Records/Universal) hört sich genauso an. So betrübt und missgestimmt die fünf Herren aus Manchester auf dem Foto dreinschauen, so klingt auch das Album. Spätestens jetzt sollte also klar sein, dass dies keine leicht zugängliche Musik ist. Es braucht Zeit, sich an die Schwere und an die überbordende Melancholie, die in jedem der Songs steckt, zu gewöhnen. Lässt man sich allerdings auf die Musik voll und ganz ein, wird man mit einem der besten Alben dieses Jahres glücklich. Und das trotz der in jeder Note mitschwingenden Traurigkeit. Die rührt übrigens daher, dass 2006 der ebenfalls aus Manchester stammende Singer-Songwriter Bryan Glancy verstarb, der ein guter Freund der Band war. Ihm ist “The Seldom Seen Kid” gewidmet und folglich ist die Musik einem Trauermarsch gleich. Dieser ist auch keineswegs einschläfernd oder langweilig. Dafür sorgen mal deftige Gitarren wie in “Grounds For Divorce”, ein dumpf wummernder Bass (“The Bones Of You”) oder ein belebendes Duett mit dem früheren Pulp-Gastmusiker Richard Hawley (“The Fix”). Ein Streich-Orchester, das plötzlich mit all seiner Wucht aus dem Nichts auftaucht und zum Tusch ansetzt, tut es auch (“Starlings”). Dem Album mangelt es keineswegs an großen Momenten. “The Loneliness Of A Tower Crane Driver” und “An Audience With A Pope” sind nur zwei weitere von vielen. Aber es ist ungerecht, die anderen Songs nicht hervorzuheben. Das epische Element, die Opulenz, ja, sogar die Vollkommenheit all dieser Songs ist schier überwältigend. Sicherlich ist das keine Musik für den Massengeschmack, aber eine für Connaisseure. Auf der Insel gab es fast durchweg Lobeshymnen auf die Band und deren viertes Album. Die Folge: Platz fünf in den dortigen Charts. Hierzulande reichte es nicht einmal für die Top 100. Traurig.

Kai Florian Becker