Nick Cave: Idiot Prayer – Nick Cave Alone At Alexandra Palace

Aktuell erscheinen die ersten Alben, die während der Corona-Pandemie bzw. eines damit verbundenen Lockdowns entstanden sind oder zumindest fertiggestellt wurden. Deren Zahl dürfte in den kommenden Wochen und Monaten noch deutlich anwachsen. Denn was bleibt den Musikerinnen und Musikern schon anderes übrig, als sich in dieser für sie völlig ungewohnten und schwierigen Zeit zurückzuziehen, Songs zu schreiben und aufzunehmen?

Manche entschieden sich (zusätzlich) dafür, Streaming-Events anzubieten. So ging Nick Cave am 19. Juni, direkt nach dem ersten Lockdown in England, in den Alexandra Palace in London, wo sonst unter johlendem Applaus bierselige Menschen den Darts-WM-Teilnehmern zujubeln. Das Alexandra Palace war für Cave leergeräumt worden; nur ein Flügel stand inmitten der Halle. An diesem nahm er Platz und spielte und sang – ganz ohne Begleitung – zahlreiche Songs aus seiner langjährigen Karriere. Robbie Ryan filmte ihn dabei.

Am 23. Juli wurde der Konzertfilm, der nach „20.000 Days On Earth“ (2014) und „One More Time With Feeling (2016) als letzter Teil einer Trilogie gilt, als einmaliges Streaming-Event angeboten und Anfang November, erweitert um vier zusätzliche Songs, in einigen wenigen Kinos ausgestrahlt. Zwei Wochen später erschien „Idiot Prayer: Nick Cave Alone At Alexandra Palace“ auch als Livealbum. Es ist gelinde gesagt eines der besten und ergreifendsten Livewerke der jüngeren Vergangenheit. Der Hörer ist Cave, der seine Songs lebt, seine Schuhe im Takt auf den Boden tippt oder auch mal lacht, unglaublich nah. Die mit seiner Band, den Bad Seeds, dargebotenen Songversionen haben unbestreitbar ihre Qualitäten. Aber was Cave hier alleine darbietet, ist dem locker ebenbürtig: siehe „Waiting For You“ vom jüngsten Soloalbum „Ghosteen“ oder Klassiker wie „The Mercy Seat“ (vom 1988er Album „Tender Prey“) und „Papa Won‘t Leave You, Henry“ (vom 1992er Album „Henry’s Dream“), denen es hier nichts an Theatralik und Dramatik fehlt.

Cave sagt über „Idiot Prayer“: „Umgeben von Covid-Offizieren mit Maßbändern und Thermometern, maskierten Beleuchtern und Kameraleuten, nervös aussehenden Technikern und Eimern mit Handgel, schufen wir etwas sehr Seltsames und sehr Schönes, das in diese unsichere Zeit hineinsprach, sich aber in keiner Weise von ihr beugen ließ.“ Eine perfekte Umschreibung für „Idiot Prayer“.