Die Freude über die Rückkehr Chan Marshall, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Cat Power, ist riesig. Die letzte Begegnung mit ihr war im Sommer 2014 anlässlich ihres Gastspiels in der Escher Rockhal. Und es war ein Abend, den wohl niemand vergessen werden kann, der ihn miterlebte. Er war sehr schön und sehr verstörend.
Cat Power spielte zweieinhalb Stunden solo – mal am Klavier, mal an der E-Gitarre. Kurz nach 21 Uhr betrat sie mit brennender Zigarette, einem Kerzenstumpen und ihrem Handy, das Musik abspielte, die Bühne. Sie nuschelte – nicht ins Mikrofon, sondern nach vorne übergebeugt und die Kerze anzündend – ein leises „Hello everybody“ und erklärte, dass sie diesen Abend einem gewissen Coleman Lewis aus ihrer Heimatstadt Atlanta widme. Sie hatte scheinbar kurz zuvor erfahren, dass er an einer Überdosis verstorben war. Dass sie auf diese Art einen Freund und ein früheres Bandmitglied – er spielte vor Jahren bei ihr Gitarre -, verloren hatte, nahm sie sichtlich mit. Sie musste im Verlauf des Abends oft mit den Tränen ringen. Anfangs glaubte wohl niemand der Anwesenden im kleinen Saal der Rockhal, dass sie das Konzert durchziehen würde. Doch sie tat genau das.
In den Monaten danach konnte man auf ihrem Instagram-Account mitverfolgen, dass es ihr seelisch nicht gut ging. Daraus machte weder sie einen Hehl noch macht es die Pressemitteilung zur Veröffentlichung ihres neuen Albums „Wanderer“ (Domino/GoodToGo). In der heißt es: „Es ist sechs Jahre her, seit sie ihr letztes Album ‚Sun‘ veröffentlicht hat. Eine Zeit, in der sie tiefgreifende Umwälzungen und radikale Veränderungen durchgemacht hat, einschließlich des Verlustes einer lieben Freundin und der Geburt ihres Kindes“ im Frühjahr 2015.
Nun ist sie zurück – mit einem selbst kreierten Artwork und elf selbstproduzierten Songs, die Rob Schnapf (Elliott Smith, Beck) abmischte. Darunter befindet sich der Ohrwurm „Woman“ mit Gastsängerin Lana Del Rey, auf deren Europatournee Cat Power im April dieses Jahres im Vorprogramm spielte. Hier zeigt sie sich in alter Stärke. Was erfreulicherweise für das gesamte Album gilt. Das Leben mag ihr übel mitgespielt haben, aber in die Knie gezwungen hat es sie letztlich nicht – eher zu großartigen Songs inspiriert: siehe die Vorabsingle „Wanderer“, das minimalistische, mit Percussion und Gitarre eingespielte „In Your Face“ oder den Song „Horizon“, in dem nicht mal der im Pop allgegenwärtige Auto-Tune-Effekt nervt. Cat Power setzt ihn hier als bloßes Beiwerk ein. Nicht zu vergessen das Rihanna-Cover „Stay“, „Robbin Hood“ und den Albumabschluss „Wanderer/Exit“, in dem Nico Segal Trompete spielt. Sie selbst greift zu Klavier und Gitarre auf dem Album, das „der Wahrheit und denen, die straucheln“ gewidmet ist. Gut, dass sie nicht mehr zu straucheln scheint.
Kai Florian Becker (September 2018)