Ihr erstes Album, „If You Leave“ (2013), war wirklich gut. Aber auf ihrem zweiten, Anfang des Jahres veröffentlichten Werk „Not To Disappear“ konnte sich das aus London stammende Trio Daughter nochmals steigern. Darauf bieten sie eine Synthese aus Shoegaze, Postrock und The xx. Ein Gespräch mit Elena Tonra (Gesang, Gitarre) über ihre Band, ihre Texte und ihre Schüchternheit auf der Bühne.
Wie wichtig ist Ihnen Daughter? Ist die Band das Wichtigste in Ihrem Leben?
Ich glaube schon. Ich weiß nicht, ob es das Gesündeste ist, was ich mache. (lacht) Aber alles dreht sich irgendwie um Daughter. Ich habe nie das Gefühl, nicht Teil dieser Band zu sein. Es gibt keinen Tag, an dem ich nicht etwas mache, das damit zu tun hat. Ich habe mich gestern noch mit Igor (Haefeli, Gitarrist von Daughter) darüber unterhalten, dass wir uns nicht mehr trennen können. Die letzten fünf Jahre haben wir uns alle Drei voll und ganz auf die Musik und auf Daughter fokussiert. Es ist verrückt, dass ich das jetzt gefragt werde, wo ich zurzeit über genau dieses Thema so intensiv nachdenke. Aber ja: Die Band ist mein Leben.
Gibt es da noch genügend Raum für ein Privatleben?
Ja, schon. Momentan ist es jedoch etwas schwierig. Seit unser zweites Album auf dem Markt ist, sind wir viel unterwegs. Da müssen unsere Partner zurückstecken und verständnisvoll sein. (lacht)
Wenn Sie so oft live spielen, können Sie es dann noch genießen, als Gast zu einem Konzert zu gehen?
So seltsam das klingt: ich kann es. Ich trete auch aus genau dem Grund so gerne auf Festivals auf, denn dann kann ich andere Bands live erleben. Momentan ist unser Terminkalender leider vollgepackt. Da fällt es schwer, Zeit für Konzertbesuche zu haben. Einige Shows habe ich schon verpasst, weil wir uns auf die Tour vorbereiten. Ich will aber wieder mehr Konzerte besuchen, da sie einem viel geben und es inspirierend ist, anderen auf der Bühne zuzusehen, wie sie arbeiten.
Sie hatten anfangs eine Beziehung mit Ihrem Gitarristen Igor. Wie haben Sie es geschafft, dass trotz des Beziehungsaus die Band weiter existieren konnte?
Das ist die Frage der Fragen. (lacht) Wir haben es irgendwie geschafft. Was sehr, sehr harte Arbeit war. Wir beide haben – und das führt zur Eingangsfrage zurück – die Band als einen sehr wichtigen Teil unseres Lebens gesehen und realisiert, dass wir lieber die Band wählen würden, wenn wir uns zwischen der und unserer Beziehung entscheiden müssten. (lacht) Die Band gewann, die Liebe verlor. Wir wollten beide, dass sie trotz des Liebesaus funktioniert, weil wir beide die Band mit geformt haben. Es wäre hart gewesen, an einem Tag zwei Herzensangelegenheiten zu verlieren. Wir entschieden uns also, das fortzuführen, worin wir bis dahin so gut waren: miteinander Songs zu schreiben. Und was soll ich sagen: so weit, so gut. (lacht)
Gibt es in Ihren Augen den perfekten Moment, um Ihre Songs zu hören? Ich selbst hatte erlebt, dass sie gut mit einer gescheiterten Beziehung harmonieren.
Oh, tut mir leid, das zu hören… Ich glaube nicht, dass es diese eine perfekte Situation gibt. In der Regel schreiben wir Songs, um eine unschöne, schwierige Begebenheit, die uns unglücklich stimmt, in einen wunderschönen Song zu verwandeln. Wir haben unsere Vision einer seltsamen, aufbauenden Musik. Aufbauend ist vielleicht das unpassende Wort. (lacht) Wie soll ich das erklären? In miesen Momenten höre ich selbst solche Musik, und danach fühle ich mich besser. So meine ich das. Ich hoffe, dass dies auch auf unsere Musik zutrifft und sie demjenigen, der sie hört, hilft.
Ihre Texte sind äußerst emotional. Müssen sie sich manchmal zurückhalten, nicht zu viel von Ihren Gefühlen preis zu geben?
Ich glaube, dass ich mit diesem Album wirklich viel gesagt habe. Die Texte sind auch nicht nachbearbeitet worden. Ich war sehr offen und ehrlich und sprach auch unbequeme Themen an. Am Esstisch würde ich über manch ein Thema nicht mit anderen Menschen reden wollen. Ich hatte eben das Gefühl, all das aus- beziehungsweise ansprechen zu müssen. Es gibt allerdings eine persönliche, private Ebene, die ich mir stets bewahren werde. Ich sage viel, aber nicht alles. Gerade wenn man auch über andere Menschen schreibt, muss man fair bleiben und sollte sie nicht in eine unangenehme Situation manövrieren. Man sollte realisieren, dass manchmal zwei Menschen an einer beschissenen Situation Schuld tragen, statt sich immer auf die Rolle des Opfers zurückzuziehen.
Ich habe gehört, Sie reden während Ihrer Shows kaum mit dem Publikum. Dabei kommen Sie mir gar nicht schüchtern vor.
Das stimmt: bei unseren Auftritten rede ich wenig. Seltsam irgendwie. Am Telefon kann ich über alles reden, aber auf der Bühne möchte ich nicht die Frontfrau sein, die im Mittelpunkt steht. Das bin ich einfach nicht. Ich schreibe Songs und singe sie, aber sie zu performen, das war noch nie mein Ding oder meine Ambition. Manchmal bin ich sehr nervös und fühle mich unwohl, wobei ich mich auf jeden Auftritt freue. Die öffentliche Rede war jedoch nie meins. In den Songpausen realisiere ich, wo ich bin: auf einer erhöhten Bühne vor hunderten Leuten. Es fühlt sich seltsam an, dass sie darauf warten, dass ich etwas ins Mikrofon spreche. Soll ich was Lustiges sagen? Oder etwas anderes? Was erwarten sie? Ich weiß es natürlich nicht und daher schweige ich oft lieber. Ich möchte auch keine Karikatur sein. Ich fände es seltsam, plötzlich wie Spinal Tap auf die Bühne zu stürmen.
Kai Florian Becker (Oktober 2016)