Cat Power: Emotional aufgewühlt

Ende 2012 wollte Chan Marshall, besser bekannt unter ihrem Künstlernamen Cat Power, mit ihrem nach wie vor aktuellen Album „Sun“ durch Europa touren. Diese Pläne musste sie aufgrund einer Erkrankung verwerfen. Es war auch von finanziellen Problemen die Rede, so dass nicht klar war, ob und wann sie je wieder den Weg nach Europa finden würde. Ende des letzten Jahres tourte sie durch die USA; seit Mitte Mai ist sie in Europa unterwegs – ohne Band wohlgemerkt.

Die Vorfreude war immens, nachdem die Rockhal vor einigen Wochen dieses Cat Power-Solokonzert angekündigt hatte. Dass der Club der Rockhal am Sonntagabend bestuhlt war, überraschte. Das hieß wohl, dass der Besucherandrang nicht gerade groß sein würde bei dieser einzigartigen Singer/Songwriterin. Dafür sollten die geschätzten 200 Besucher dieses intime Solokonzert noch lange in Erinnerung behalten.

Das lag zum einen daran, dass Marshall zweieinhalb Stunden allein spielte – mal am Klavierflügel, mal an der E-Gitarre. Zum anderen lag es an den Rahmenbedingungen, unter denen das Konzert stattfand und damit verbunden: dem seelischen Zustand, in dem die Protagonistin auf die Bühne kam. Kurz nach 21 Uhr betrat sie mit brennender Zigarette, einem Kerzenstumpen und ihrem Mobiltelefon, das Musik abspielte, die Bühne. Sie nuschelte – nicht ins Mikrofon, sondern nach vorne übergebeugt und die Kerze anzündend – ein leises „Hello everybody“ und erklärte, dass sie diesen Abend einem gewissen Coleman Lewis aus ihrer Heimatstadt Atlanta widme. Sie hatte scheinbar gerade erfahren, dass er verstorben war – mutmaßlich an einer Überdosis Heroin. Dass sie auf diese Art einen Freund und ein früheres Bandmitglied – er spielte vor über zehn Jahren bei ihr Gitarre -, verloren hatte, nahm sie sichtlich mit. Am gestrigen Montag schrieb sie via Instagram: „My heart is broken. RIP Coleman Lewis. (…) My heart & soul is in Atlanta with your family & all of us who adore you. My body & pain in Europe“. Das gelesen, erklärt es ihr Verhalten am Vorabend zu Genüge.

Sie musste gleich zu Beginn sehr mit den Tränen ringen, bekam sich einigermaßen in den Begriff und begann – beflügelt vom höflichen und aufmunternden Applaus des Publikums – den ersten Song zu spielen. In den ersten Minuten hätte wohl niemand etwas darauf gesetzt, dass sie dieses Konzert würde durchziehen können. Aber zweieinhalb Stunden später musste ihr der größte Respekt gezollt werden, gegen ihre Trauer und ihren Schmerz angekämpft zu haben. Dazu muss man wissen, dass Marshall von jeher kein großer Fan von öffentlichen Auftritten ist und auf der Bühne immer sehr scheu und unsicher wirkt. Dass sie sich geschätzte 100 Male entschuldigte oder „Don’t be mad at me“ sagte, sprach Bände. Es wunderte niemanden, dass sie vor ihrem Lied „I Don’t Blame You“ kurz innehielt, um die Kräfte, die sie eigentlich gar nicht hatte, zusammenzukratzen.
Zu Anfang spielte sie ohne Pause durch, um ja nicht in Verlegenheit zu geraten, an Lewis zu denken oder Beifall zu ernten, weil sie dieser vielleicht zu sehr berührt und zum Weinen gebracht hätte. So zumindest war ihr Verhalten zu deuten. Und dieses Gefühl verflog nie und verpasste diesem Konzert einen ganz eigenen Ton. Zu dessen Höhepunkten zählten „The Greatest“, der Titelsong vom gleichnamigen Album aus dem Jahr 2006, sowie „Great Expectations“, der härteste Song im Set, bei dem die E-Gitarre voll zur Geltung kam. Danach packte das Publikum die seltene Gelegenheit beim Schopfe, ihr zuzujubeln.

Nein, es war alles andere als ein gewöhnliches Konzert. Sie war gezeichnet von der Gewissheit, dass ein ihr sehr nahestehender Freund verstorben war. Das verunsicherte sie so sehr, dass sie sich bei jeder Verzögerung oder jedem Verspieler, von denen ihr seitens ihrer Fans kein einziger krumm genommen wurde, reflexartig entschuldigte. Einmal spielte sie einen Song an und ein enthusiastischer Fan pfiff laut, woraufhin sie kurz lächeln musste. Eine Regung von Seltenheitswert.

Aber auch wenn ihre Trauer und ihre Verunsicherung nie verflogen, ihre Lieder erreichten ihr Publikum und die Liebe des Publikums erreichte sie. Am Ende verteilte sie ein paar weiße Rosen an ihre Fans und verschwand im Dunkel der Bühne. Dort, wo sie während des Konzerts kurz einmal Zuflucht gesucht hatte, weil ihr das Rampenlicht an diesem Abend so gar nicht behagte. Ein Abend, den weder sie noch ihre Fans so schnell werden vergessen können.

Kai Florian Becker (Juni 2014)