Manic Streets Preachers: Keine Macht Der Jugend (veröffentlicht: 1994)

Hier ein Interview, das ich im November 1994 mit Manics-Gitarrist Richard James Edwards, der am 01. Februar 1995 spurlos verschwand, für das mittlerweile eingestellte Musikmagazin “Heavy, oder was!?” führte. Es ist lange her… und irgendwie seltsam, diesen Text wieder zu lesen, den ich nahezu unüberarbeitet habe. RIP, Edwards!

Mit ihrem Debüt “Generation Terrorists” landeten die “Manischen Straßenprediger” auf Platz 13 der UK-Charts. Das zweite Werk “Gold Against The Soul” wurde glatt vergoldet und “The Holy Bible” sollte dem vorangegangenen Erfolg in nichts nachstehen. In ihrer bisherigen Karriere hat die Band sage und schreibe zwölf Top-40 Hits zustande gebracht. Es war also an der Zeit, Richey James nach dem Geheimnis des Erfolges zu befragen.

Überraschenderweise sind die Manic Street Preachers nur in England und in Thailand die ganz großen Abräumer und können sich dort einer großen Beliebtheit erfreuen. Außerhalb dieser beiden Länder ist der Funke zum Publikum noch nicht übergesprungen. Enttäuscht?
“Nein, da wir einfach anderswo noch nicht so intensiv tourten wie es just in England und Thailand der Fall war. Dort scheint man unsere Musik mit mehr Verständnis aufzunehmen. In Zukunft wollen wir dieses Manko aus dem Weg räumen und vielleicht werden wir in Deutschland und den Staaten an unseren bisherigen Erfolg anknüpfen können.”

Die Tatsache, dass man oft lieber auf die Qualitäten amerikanischer anstatt britischer Bands setzt, stört Richey weniger.
“Vor 15 Jahren waren es die britischen Bands, die in den Staaten groß abräumten und heute sind es eben die Amis, die weltweit mit ihrer zweifellos guten Musik den Ruhmeszug antreten.”

Manic Street Preachers sind keine Menschen, die nur in den Tag hineinleben und sich einen Dreck um die Probleme der Welt kümmern. So setzen sie sich zum Beispiel für Organisationen wie die “Anti Nazi League” oder den “Imperial Cancer Research Fund” ein. Woher rührt das Interesse an solchen Organisationen?
“In meiner Familie sind leider viele Verwandte an Krebs gestorben. Somit bin ich massiv mit dem Problem der Krebserkrankung konfrontiert worden. Die ‚Anti Nazi League’ ist eine Art politische Vereinigung, die das Thema Faschismus mit einer viel ernsteren Einstellung anpackt als unsere eigene Regierung.”

Einst spielten Manic Street Preachers einen Song zusammen mit Traci Lords ein. Diese hatte im Alter von 15 Jahren eine sehr erfolgreiche Karriere als Pornostar angefangen und wechselte mittlerweile ins Lager professionell arbeitender Schauspieler.
“Wir wollten jemanden mit von der Partie haben, der die Problematik des Songs, die Ausnutzung und Ausbeutung des Menschen, bereits am eigenen Leib erfahren hatte. Zur Wahl standen die beiden Teenie-Idole Kylie Minogue und Traci Lords – wobei letztere das Rennen machte.”

Pornos gehören heute mit zur Kultur, was früher absolut undenkbar, da unsittlich erschien. Der ehemals verwerfliche Job eines Pornodarstellers scheint vereinzelt immer mehr akzeptiert und anerkannt zu werden, obwohl eine Akzeptanz auf breiter Ebene noch in weiter Ferne liegt.
“Es ist die Entscheidung eines jeden selbst, seinen Körper für eine Sache herzugeben und sich zu verkaufen. Du bist für dich selbst verantwortlich und hast es selbst in der Hand. Fühlst du dich als Pornodarsteller vor laufender Kamera wohl, ist das okay.”

Eine andere Künstlerin mit der die Manic Street Preachers zusammengearbeitet haben, ist die britische Malerin Jenny Saville, die sich bei “The Holy Bible” für die Covergestaltung verantwortlich zeigte.
“Sie ist eine meiner neuen Lieblingskünstlerinnen. Ich erkundigte mich auf einer ihrer Ausstellung nach ihrer Telefonnummer und rief sie daraufhin an. Am Telefon erklärte ich ihr über eine halbe Stunde lang, worum es uns bei dem Album geht. Ihr gefiel das Konzept und sie sagte auf Anhieb zu.”

Die Bandmitglieder, insbesondere Richey, scheinen eine Vorliebe für moderne Kunst zu haben. Was ist so faszinierend daran?
“Für viele Menschen meiner Generation scheint die Kunst das einzige Ideal zu sein, an das es zu glauben sich noch lohnt. Bücher und Filme sind für viele die einzig wahren Freunde, da sie dich nie belügen oder enttäuschen können.”

Richey erzählte mir kurz vor Ende des Interviews noch eine sehr interessante Neuigkeit aus dem Königsreich, welche die dort ansässige Jugend und die Fans des Body-Piercings im Besonderen sicherlich schockieren könnte.
“Die britische Regierung will jetzt Body-Piercing verbieten, weil es in ihren Augen den Körper verschandeln würde und unzivilisiert sei. Dieser Nonsens sagt alles über die Briten aus. In einem angeblich freien Land sollte eigentlich jeder das tun und lassen dürfen, was er für richtig empfindet.”

Kai Florian Becker (November 1994)