Biffy Clyro: Ein Hauch an Naivität bewahrt

Das schottische Trio Biffy Clyro hat sich Jahr für Jahr ein Stück weiter nach oben gekämpft. Das allerdings hinterließ Spuren. Schlagzeuger Ben Johnston musste erkennen, dass er ein Alkoholproblem hatte. Dies wurde unmittelbar vor den Aufnahmen zu ihrem aktuellen Album „Opposites“ bekannt. Wie es ist, den Großteil des Jahres unterwegs zu sein und wie die Band mit der Alkoholsucht ihres Schlagzeugers umging, erklärt Bens Bruder: Bassist James Johnston.

Wie viele Tage im Jahr sind Sie unterwegs?
Etwa 200 Tage. Wir touren seit fast zehn Jahren nahezu unaufhörlich. Wir haben dabei festgestellt, dass wir live am besten sind, wenn wir vier Wochen am Stück touren, dann für einige Wochen nach Hause gehen, uns von den Strapazen erholen und unsere Batterien wieder aufladen. Dank dieser Methode liefern wir die bestmöglichen Shows ab. Man muss natürlich dafür kämpfen, dass der Hunger und die Hingabe immer noch da sind. Ohne das geht es nicht. Wenn ich recht überlege, sind 200 Tage schon verdammt viel. Aber selbst nach Jahren mit diesem Pensum macht es uns noch Spaß.

Was vermissen Sie auf Tour?
Die häusliche Gemütlichkeit, die extravaganten Dinge, die dir dein Leben erleichtern. Auch dass man sich selbst mal etwas kochen kann oder eine Dusche für sich ganz alleine hat. Außerdem Freunde und Bekannte. Es ist schwer, die Beziehungen aufrechtzuerhalten, wenn man am Ende der Welt tourt. Das Leben der anderen geht weiter und man verpasst einiges. Da braucht es nach der Rückkehr immer etwas Zeit, bis man die Dinge aufgearbeitet hat. Um nicht völlig den Kontakt zu verlieren, kehren wir nach einer gewissen Zeit nach Hause zurück. Es ist schon seltsam: Die ersten Tage zuhause sind hart. Du hattest solche Erwartungen an deine Rückkehr, hast alles als perfekt erhofft, aber meistens ist es das nicht. Daran muss man sich stets aufs Neue gewöhnen. Aber nicht falsch verstehen: Ich will mich keineswegs beschweren. Das ist unsere Wahl gewesen. Und diese Entscheidung war weise. Wir dürfen viel reisen und erleben großartige Konzerte.

Abgesehen von Ihrem Musikequipment: Was ist das wichtigste Utensil in Ihrem Reisegepäck?
Das Instrument ist ebenso ersetzbar wie meine Kontaktlinsen. Insofern wäre das wichtigste mein Reisepass. Ohne den geht nichts. Ansonsten genieße ich das spartanische Leben mit meinen Band- und Crewmitgliedern. Wir sitzen alle in einem Boot. Sie verstehen meine Situation und meine Gefühle. Das ist für mich Komfort auf Tour.

Versteht Ihr Bruder Ben Sie besser als es die anderen tun?
Ben versteht mich überhaupt nicht. (lacht) Nein, natürlich tut er das. Wir haben eine enge Verbindung, Gemeinsamkeiten wie Unterschiede. Manchmal muss man gar nicht reden. Da reicht ein Blick, um dem anderen klar zu machen, was man denkt oder fühlt. Da ist aber nicht nur zwischen mir und meinem Bruder so, sondern gilt für Band und Crew. Wir kennen uns seit langem. Die Truppe ist meine zweite Familie.

Eine Tour muss sehr kraftraubend sein. Wie bereiten Sie sich körperlich vor?
Ich fahre Rad, die anderen beiden machen Martial Arts-Training. Aber eigentlich werden wir fit, indem wir spielen. Jedoch müssen wir uns mittlerweile länger dehnen, bevor wir auf die Bühne gehen. Überhaupt müssen wir auf unsere Körper und unsere Stimmen achten. Ingwer und Zitrone sind wichtige Hilfsmittel. Wir gehen auch früher ins Bett als noch vor Jahren. Das klingt nun gar nicht aufregend, ich weiß. Aber der eigentliche Anlass für eine Tour sind ja die Konzerte und nicht allabendliche Trinkgelage.

Was ist Ihr Geheimnis, dass Sie scheinbar stets 100 Prozent auf der Bühne geben? Sicherlich nicht allein die Tatsache, auf Partys zu verzichten und früh ins Bett zu gehen, oder?
(lacht) Ich glaube, das liegt allein an unserem Willen. Wir geben unser Leben für Biffy Clyro. Wir wollen Spaß und den Fans, die Geld für das Ticket bezahlt haben, etwas bieten beziehungsweise zurückgeben, denn wir sind ihnen dankbar. So haben wir das seit jeher gehandhabt.

Sie verzichten gänzlich auf Aftershow-Partys?
Von Zeit zu Zeit steigt schon mal eine Party. (lacht) Man kommt mitunter nicht drum herum. Insgesamt bin ich aber der Meinung, dass es besser ist, wenn man weder Alkohol oder harte Drogen braucht, um das Leben genießen oder Spaß haben zu können.

Wo wir schon beim Thema sind: Wie schlimm waren die Alkoholprobleme Ihres Bruders? War die Band in Gefahr?
Es ist sehr schwer zu sagen, in welcher Gefahr sich die Band befand, da wir so eng miteinander verbunden sind. Ich glaube nicht, dass wir je voneinander losgelassen hätten. Es war natürlich sehr schwierig. Wir mussten herausfinden, wie wir ihn unterstützen, wie wir weitermachen und was wir ändern könnten. Ich möchte eigentlich nicht viel weiter drauf eingehen. Letztlich hat uns die Situation ein gutes Stück vorwärts gebracht. Ich bin stolz darauf, wie wir das gemanagt haben und vor allem dass Ben die Sache gemeistert hat. Es war beeindruckend, ihn danach bei den Aufnahmen zu erleben. Er hat so auf die Schlagzeugfelle eingedroschen wie noch nie zuvor. Damit gab er die Richtung und den Ton für das Album vor. Es fühlte sich wie ein Neustart an.

Sie werden von Jahr zu Jahr erfolgreicher. Macht Ihnen das Angst?
Um ehrlich zu sein: Es ist unglaublich aufregend und genau das, was wir immer wollten. Wir machen uns darüber aber nie Gedanken. Außer wenn wir in Interviews darauf angesprochen werden. Wahrscheinlich um uns selbst zu schützen. Wir wollen uns so einen Hauch an Naivität bewahren. Wir genießen einfach den Moment.

Kai Florian Becker (Dezember 2013)