Thorsten Nagelschmidt, Nagel genannt, war von 1993 bis 2009 Sänger der deutschen Punkrock-Band Muff Potter. Heute ist er im weitesten Sinne Künstler: Er schreibt („Was kostet die Welt“), liest und fertigt Linolschnitte an. Ein Gespräch mit Nagel.
Wie lebt es sich so ohne Band, sprich ohne Muff Potter?
Als wir Ende 2009 die Band aufgelöst haben, war es, als ob man endlich einen viel zu schweren Rucksack von den Schultern wirft. Der natürlich auch Dinge enthält, die man danach sehr vermisst. Aber ohne Band? Mal sehen was da noch kommt.
Haben Sie bereits neue musikalische Projekte oder ein Soloalbum in Arbeit? Oder ist das Schreiben nunmehr Ihr Hauptberuf?
Nichts was ich mache, ist mein Beruf. Ich bin Autodidakt und freue mich darum umso mehr darüber, seit nun über sieben Jahren von meiner Kunst leben zu können. Und seit der Muff Potter-Auflösung verging kaum eine Woche, in der ich nicht Musik gemacht habe.
Derzeit sind Sie auf Lesereise. Lohnt es sich in finanzieller und resonanzmäßiger Hinsicht, Bücher zu schreiben, oder ist der Punkrocker im Vergleich zum Autor der größere Star?
Es gibt natürlich Autoren, die zehnmal soviele Bücher verkaufen wie ich, zu deren Lesungen aber viel weniger Leute kommen als zu meinen. Oder umgekehrt. Die beneide und bemitleide ich zugleich. Einerseits will man natürlich die Anerkennung durch Literaturkritik und Feuilleton, andererseits bin ich sehr glücklich mit dem, was ich mache. Regelmäßig erzählen mir Menschen, dass meine Lesung die beste war, der sie je beigewohnt haben. Und ein zurückgezogenes Schriftstellerdasein mit sporadischem Abgefeiere in der sogenannten E-Kultur erscheint mir viel langweiliger als der Glamour-Aspekt, den mein Leben trotz gelegentlicher Ungewissheiten hat.
Und finanziell? Ich habe nie irgendwas für Geld gemacht. Aber weniger lukrativ als Musik zu machen kann seit dem Niedergang der Musikindustrie kaum noch irgendeine künstlerische Tätigkeit sein. Insofern bin ich diesbezüglich maximal abgehärtet.
Sie tourten bereits mit dem schottischen Autor John Niven („Kill Your Friends“, „Gott bewahre“) und dem Wahl-Saarländer Lee Hollis lesend durch Deutschland. Wie ist das, wenn zwei Schriftsteller zusammen reisen? Gibt es da Rock’n’Roll-Momente?
Die gibt es immer – ob alleine, zu zweit oder zu zwölft. Schön ist aber die Abwechslung, die Interaktion und die Dynamik, wenn man sich die Bühne teilt. Und die Pausen, die man hat, wenn man nicht zwei Stunden alleine etwas abliefern muss.
Sie hatten zuletzt auch Ausstellungen mit Ihren gedruckten Linolschnitten? Wie sind Sie dazu gekommen?
Ich wollte für meinen zweiten Roman „Was kostet die Welt“ auf dem Cover nur Lettern haben. Kein Foto, keine Zeichnung, keine Illustration. Die von der Agentur angebotene Schrift hatte mich aber nicht wirklich begeistert. Also bin ich in den Künstlerbedarfsladen gefahren und habe mir Linolschnitt-Utensilien gekauft. Erst danach habe ich angefangen, mich wirklich für diese Kunstdruckform zu interessieren.
Das besagte Cover war mein allererster Linolschnitt. Dann fing ich an, Portraits meiner rauchenden Freunde zu schnitzen. Daraus entstand meine „Raucher“-Serie, die ich irgendwann auch zeigen und verkaufen wollte. Mittlerweile sind es fast ein Dutzend Ausstellungen. Die Nachfrage wächst und die Serie auch. Es ist eine gute, einsame Arbeit.
Kai Florian Becker (April 2012)