Der Andrang in der Escher Kulturfabrik am Mittwochabend war relativ bescheiden. Lediglich geschätzte 350 Fans waren gekommen, um einem der rar gewordenen Auftritte der Jon Spencer Blues Explosion beizuwohnen.
Das New Yorker Trio, das 1991 von dem namensgebenden Sänger und Gitarristen Jon Spencer sowie Gitarrist Judah Bauer und Schlagzeuger Russell Simins gegründet wurde, ist über die letzten Jahre doch sehr in Vergessenheit geraten und konnte höchstens noch einige der älteren Fans aus ihrer Hochphase in den Neunzigern anlocken. In jener Dekade veröffentlichten sie sage und schreibe sieben Studioalben und avancierten zu eine der coolsten und beliebtesten Bands im Indie-Underground. Ihr Blues-Punk war für damalige Verhältnisse einzigartig.
Kein Wunder, das Detroiter Geschwister-/Ehepaar The White Stripes, das in etwa einen ähnlichen Sound hatte, wurde erste Ende der Neunziger gegründet. Doch während Meg und Jack White von Album zu Album immer größere Erfolge feierten und letztlich zu Weltruhm gelangten, wurde es um die Jon Spencer Blues Explosion eher ruhiger. Im letzten Jahrzehnt erschienen gerade mal noch zwei Studioalben: „Plastic Fang“ (2002) und „Damage“ (2004). Danach war es verdächtig still um Spencer & Co. Zu ruhig. Im letzten Jahr gab es dann diverse Wiederveröffentlichungen und im Zuge derer raffte sich die Band wieder auf, um in den USA, in Europa und in Downunder zu touren.
Ob sie sich gedacht haben, jetzt wo es erst um The White Stripes stiller wurde und die Band dann sogar Anfang Februar über ihre Homepage das offizielle Aus verkündete, wäre der Zeitpunkt günstig, wieder auf sich aufmerksam zu machen und sich eine Scheibe von der Torte, die The White Stripes gebacken, aber nicht ganz verköstigt hatten, abzuschneiden? Das ist natürlich reine Spekulation.
Nach dem vergangenen Mittwochabend lässt sich allerdings sagen, dass einem die Jon Spencer Blues Explosion gefehlt hatte. Okay, es war vielleicht nur den hartgesottensten Fans, die jeden Song in- und auswendig kennen, möglich, das Gros der in der Kulturfabrik dargebotenen Lieder zu erkennen. Sie waren laut, sie waren dreckig, sie waren fiebrig, sie schepperten, sie fiepten, sie dröhnten und sie polterten. Einerseits etwas verstörend, weil die Jon Spencer Blues Explosion auch einige massentaugliche Songs im Repertoire hat, andererseits beneidenswert konsequent. Gut ist, was Spaß macht – ohne Rücksicht auf Verluste.
Damit auch jeder im Saal wusste, wer da oben auf der Bühne für den Krach verantwortlich war, wurde zwischen und während der Lieder immer wieder von Spencer mit verzerrter Stimme „Blues Explosion!“ ins Mikrofon gebrüllt.
Apropos, in Sachen Lautstärke hatte ihr Tontechniker alles im Griff. Die in der Kulturfabrik vorgeschriebene Grenze von 105 Dezibel überschritt die Band nicht, blieb aber immer sehr knapp unter dem Richtwert – zumindest laut der spontan heruntergeladenen Applikation fürs Mobiltelefon.
Doch auch unter 105 Dezibel, was auch schon recht laut ist und in der Lautstärke einer Kettensäge oder eines Lautsprechers in einer Disco (jeweils in einem Meter Entfernung) entspricht, hatten Spencer, Bauer und Simmins ihren Spaß. Das konnte man ihnen nicht verdenken, wenn auch der Wiedererkennungswert zahlreicher Lieder etwas auf der Strecke blieb. Vielleicht lag das aber vielmehr daran, dass man sich nach über zehn Jahren nicht mehr so genau an jeden einzelnen Hit von damals erinnern kann. Man wird ja nicht jünger.
Kai Florian Becker (Juni 2011)