Bon Iver: Bon Iver

Einen Song einem Ort widmen, diese Idee verfolgte Justin Vernon, der Mann hinter dem Projekt Bon Iver, für sein zweites Album. Neu war für Vernon auch die grundlegende Herangehensweise. Statt wie bei seinem Debüt draußen im Nirgendwo sich in eine Holzhütte einzuschließen, die Gedanken um Sorgen, Trauer und Ängste kreisen zu lassen, bis dass genügend umwerfende melancholische Songs herausspringen, schlug er für “Bon Iver” nicht den Alleingang ein.

Die Songfragmente stammen aus Vernons Feder, doch ließ er seinen Gastmusikern auch Platz und Raum sich selbst zu verwirklichen. Zu den Gästen zählten neben einigen Stammkräften ein gewisser Rob Moose (Antony And The Johnsons, The National), der die Streicherparts arrangierte, Pedal Steel-Gitarrist Greg Leisz (Lucinda Williams) und die Blechmusiker Colin Stetson (Tom Waits, Arcade Fire), Mike Lewis (Andrew Bird) und C.J. Camerieri (Rufus Wainwright, Sufjan Stevens).

Aufgenommen wurde das Album in Fall Creek, in Vernons Heimatstaat Wisconsin. Statt eines angestammten Tonstudios gingen die Herren in eine ehemalige Tierklinik, die Vernon mit seinem Bruder zu einem Studio umfunktioniert hatte. Ein ungewöhnlicher Ort, der ein hervorragendes Ergebnis zutage brachte: “Bon Iver”.

Wie außergewöhnlich Vernons Stellung in der Singer-Songwriter-Gilde ist zeigt gleich der Auftakt “Perth”. Mal ganz abgesehen von seiner hohen knabenhaften Stimme, die nie auf einer einzigen Tonlage beharrt und variiert, das eigentlich Umwerfende ist das Arrangement aus Gitarren, Bläsern und Schlagzeug. In “Perth” kommt sogar die Doublebass zum Einsatz, was für ein Folk-Album wahrlich ungewöhnlich ist.

Dass Vernon für dieses Album drei Jahre benötigte, verzeiht man ihm. Nach dem Überraschungserfolg mit seinem Debütalbum “For Emma, Forever Ago” und in der Folge zahlreichen Konzerten und Gastauftritten (u.a. bei The National und Kanye West) brauchte er verständlicherweise etwas mehr Zeit.

Unverzeihlich ist allerdings der letzte Song des Albums: In “Beth/Rest” erklingt das schäbigste Plastik-Keyboard aus den Achtzigern, Vernons Stimme wurde mit dem Auto-Tune-Effekt verhunzt und zur Krönung wird muckermäßig auf der E-Gitarre gedudelt. Schlimm. Gott sei Dank der einzige Ausrutscher auf diesem ausgezeichneten Album, das weit über die Grenzen des Singer-Songwriter- und Folk-Genres hinaus geht.

Kai Florian Becker (JUni 2011)