Steve Smyth eröffnete diesen Folk-Abend. Er stammt wie das Geschwisterpaar Angus & Julia Stone aus Australien. Wer über ihn im Internet recherchiert und dabei seine Homepage aufsucht, findet einen Mann im Anzug und mit Fliege und Hut vor. Ob das wirklich derselbe schwergewichtige Kerl war, der am Dienstag im Club der Rockhal auftrat? Muss so sein, denn immerhin ist auf der besuchten Website des Anzugträgers die gemeinsame Tournee mit Angus & Julia Stone erwähnt. Der Smyth aus der Rockhal sah allerdings wie ein frisch aufgelesener Straßenmusiker aus – ohne Anzug, dafür mit verknittertem Ökohemd und zerzaustem Bart und Haupthaar. Der Blues-Singer-Songwriter, der augenscheinlich erst ein Minialbum auf dem Markt hat, war ein exzentrischer Vertreter seiner Zunft, der einem Betrunkenen gleich über die Bühne torkelte, seinen Oberkörper hin und her warf und dabei versehentlich das Kabel zwischen Gitarre und Verstärker verlor. Das Publikum war höchst amüsiert.
Eine halbe Stunde später standen Angus & Julia Stone auf selbiger Bühne. Eben das Geschwisterpaar aus dem australischen Newport, das 2006 mit der EP „Chocolates And Cigarettes“ das Interesse eines gewissen Fran Healy, Frontmann von Travis, weckte. Er nahm die Zwei kurzerhand unter seine Fittiche. Infolgedessen schrieben sie zu dritt in Healys Haus in London an diversen Songs. Zudem gastierte Julia Stone 2007 in dem Travis-Song „Battleships“ (vom Album „The Boy With No Name“).
Mit ihrem Debütalbum „A Book Like This“, das die Top Ten der australischen Charts knackte, tourten Angus & Julia Stone dann zwei Jahre lang kreuz und quer über den Globus. Parallel dazu werkelten sie am Nachfolgewerk „Down The Way“, das sich 2010 auf Anhieb an die Spitze der australischen Charts setzte.
In ihrer Heimat sind Angus & Julia Stone demnach gefeierte Stars. In hiesigen Breitengraden genießen sie einen Underground-Status und sind ein Geheimtipp. Insofern verwunderte es, dass sie den Club der Rockhal so gut wie ausverkauften.
Sie waren übrigens mit Verstärkung gekommen. Zu ihnen gesellten sich ein Bassist, ein Schlagzeuger und eine Cellistin. Das passende Setting für einen harmonischen Folk/Singer-Songwriter-Abend.
Aber schon gleich zu Anfang überraschten sie mit einem Dub/Ska-Groover, für den Julia Stone zur Trompete griff. Allerdings kann sie wesentlich besser singen und mit der Gitarre umgehen als mit der Trompete. Im Kontrast dazu spielten sie „Babylon“, ein gemächliches, langsam vor sich hin schleichendes Lied. Darauf folgte das John Travolta & Olivia Newton John-Cover „You’re The One That I Want“ (aus dem Musical „Grease“). Im Hintergrund ein Sternenhimmel mit einem zufrieden dreinschauenden Mond, davor Julia Stone mit Akustikgitarre und einer extrem nasalen Stimme. Es war schon einer sehr spezielle Interpretation dieses Welthits, die ihr Bruder Angus mit den Worten „Pretty good“ bewertete.
Dann ging es weiter mit Neil Young-Folkrock, intimen Akustikfolk-Momenten und der Countryballade „Big Jet Plane“, zu der Angus Stone die Mundharmonika auspackte. Hinreißend war der Song „For You“, in dem seine Schwester folgende Zeilen sang: „If you love me, with all that you are/If you love me I’ll make you a star in my universe/You’ll never have to go to work/You’ll spend everyday, shining your light my way“. Das tat sie mit solcher Hingabe, man musste ihr Versprechen für bare Münze nehmen. Und man hatte ihr und ihrem Bruder letztlich für diesen Abend zu danken.
Kai Florian Becker (Mai 2011)