CocoRosie: Grey Oceans

Die musikalische Welt der Casady-Geschwister Bianca alias Coco und Sierra (Rosie) ist eine ganz eigene. Ihre Musik ist experimentell, aufregend, spannend und hauptsächlich anders. Die einen sagen Freak Folk dazu, wobei der Freak-Anteil wesentlich größer ist als der Folk-Anteil. Avantgarde-Indiepop wäre eine passende Umschreibung. Aber auch diese wird dem künstlerischen Schaffen der beiden Damen nur annähernd gerecht.

Auf ihrem neuen Album “Grey Oceans” gibt es beispielsweise den Song “Hopscotch”. Der fängt an wie ein kindlicher Wildwest-Saloon-Gassenhauer, ehe er in ein sphärisches Drum’n’Bass-Stück mündet. Später überlagern sich beide Teile und ergeben entgegen ihrer Gegensätzlichkeit ein erstaunlich harmonisches Lied, das mit zu den besten auf diesem seltsamen Album gehört.

Die ersten Aufnahmen dazu entstanden Ende 2007. In Buenos Aires lernten CocoRosie den renommierten argentinischen Produzenten Nicolas Kalwill kennen, der sie in ein Tonstudio einlud. Dort nahmen sie mit dem Jazzpianisten Gael Rakotondrabe innerhalb von fünf Tagen, in denen sie fast gänzlich auf Schlaf verzichteten, sieben Songs auf. Die Arbeiten vollendeten sie in Studios in Paris, Berlin, New York und Melbourne.

Der hohe künstlerische Anspruch der Schwestern ist auf “Grey Oceans” allgegenwärtig. Von ihrem Hang zur Avantgarde ganz zu schweigen. Sicherlich hat das auch mit ihren Nebenbeschäftigungen zu tun. Bianca, selbst auch bildende Künstlerin, eröffnete im Februar 2008 in Paris ihre eigene Gallerie (Mad Vicky’s Tea Gallery); Sierra ist nebenher als klassische Opernsängerin tätig. Sie haben ein facettenreiches künstlerisches Umfeld und sind vielleicht deshalb unkonventionelleren Ideen ausgesetzt.

Entgegen des Albumtitels hat “Grey Oceans” nichts Maritimes. Grau ist die Musik schon gar nicht. Sie ist farbenfroh und klingt so als hätten sie eine Horde Elfen mit viel Naivität und unter Drogeneinfluss in einem verwunschenen Zauberwald ersonnen. Alles ist möglich: Orientalische treffen auf asiatische Klänge (“Smokey Taboo”), Deep House trifft auf Cembalo und Ethno (“Fairy Paradise”) und LoFi-HipHop auf ein Piano (“The Moon Asked The Crow”). CocoRosie haben aber auch relativ gewöhnliche Lieder im Programm: siehe den Titelsong.

Kai Florian Becker (April 2010)