Es ist erstaunlich, wie viele Frauen im Bekannten- und Freundeskreis HIM-Sänger Ville Valo sexy, zumindest aber anziehend finden. Andererseits ist es eine schier unmögliche Aufgabe, unter den Männern jemanden zu finden, dem HIM zusagen. Insofern war es keineswegs verwunderlich, dass am Donnerstagabend in der Rockhal überwiegend weibliche Fans anzutreffen waren – und das nicht nur in den vordersten Reihen. Manche waren hypernervös und drohten vor Aufregung die Nerven zu verlieren. Kaum hatten sie das Einlassprozedere hinter sich gebracht, stürmten sie in den Club und drängelten sich bis zur Absperrung vor, um ihrem Idol so nah wie möglich zu kommen und im besten Fall, ihm schöne Augen zu machen. Im Gegenzug widmete Valo später einer Dame den Song „Join Me In Death“, ihren wohl größten Hit. Diese Ehre wurde ihr zuteil, weil er großen Gefallen an ihrem T-Shirt mit dem Konterfei von Michael Monroe, dem einstigen Frontmann der bekannten finnischen Glam Rock-Band Hanoi Rocks hatte. So einfach kann es gehen.
Bevor jedoch HIM an der Reihe waren und viele Damenherzen brachen, durften Dommin ran. Die vier Musiker aus Los Angeles sahen wie eine Kreuzung aus Rockabilly- und Gothic-Band aus. Ihre Musik erinnerte derweil an Type O Negative, AFI und Life Of Agony. Nicht uninteressant. Was auch für die Wahl des Coversongs galt: Die fiel auf „Just Died In Your Arms Tonight“ von der Achtziger Jahre-Band Cutting Crew.
Was im direkten Anschluss an den Auftritt von Dommin folgte, war sehr ärgerlich: HIM ließen die 1200 Fans über eine Dreiviertelstunde im ausverkauften Club ausharren. Irgendwann ging endlich das Hallenlicht aus, die Band kam unter frenetischem Jubel auf die Bühne und präsentierte mit „Like St. Valentine“ von ihrem aktuellen Album „Screamworks: Love In Theory And Practice“ den sehnlichst erwarteten ersten Song.
Trotz des Kreischens und diverser Zurufe blieb Valo während des gesamten Konzerts gelassen. Er war verdammt cool und nahm nicht einmal seine Wollmütze ab. Lediglich der Toningenieur an der Bühnenseite brachte ihn in Rage: Mal hörte Valo ein seltsames Störgeräusch, mal war ihm die Gitarre zu leise. Ansonsten gab er sich keineswegs divenhaft und beglückte seine Fans mit einem Querschnitt aus dem reichhaltigen Repertoire seiner Mitte der Neunziger gegründeten Band. Dazu zählten neben der Metal-Ballade „When Love And Death Embrace“ vom Debütalbum „Greatest Love Songs Vol. 666“ auch „The Sacrament“, „Heartkiller“ und die Chris Issak-Ballade „Wicked Game“.
Das Highlight des Abends war aber ein anderer Song. Zwar heißt es, HIM würden „True Finish Love Metal“ machen, am Donnerstag war das beste Lied ausnahmsweise keine Liebeslied, sondern „Before I Die“, ein für HIM verhältnismäßig harter und schneller Song. Dem Tempo und der Aggressivität konnte sich Valo mühelos anpassen und offenbarte, dass ihm nicht nur gefühlvolle Balladen liegen, sondern auch energische Schreie.
Knapp 80 Minuten dauerte das Konzert. Dann war leider Schluss, und die absolute Glückseligkeit der HIM-Anhängerinnen hatte ein Ende. Die Band hatte noch Termine: Zum einen war Bassist Mikko Heinrik Julius Paananen erkrankt und wollte noch in selbiger Nacht einen Arzt konsultieren; zum anderen standen Valo & Co. eine lange Busreise bevor. Denn am heutigen Samstagabend sollen sie im englischen Norwich auf der Bühne stehen und die dortigen Fans verzücken. Was ihnen dank Valos scheinbar unwiderstehlichen Ausstrahlung nicht schwer fallen dürfte.
Kai Florian Becker (März 2010)