Ring frei für die Pop-Damen

Nirgendwo werden Erfolge so schnell vergessen wie in der Popmusik. Heute ein Star, morgen eine Null. Regelmäßig gräbt der Nachwuchs den etablierten Stars das Wasser ab. Wie schneiden ergo die neuen Alben von Kylie Minogue, 35 knackige Jahre alt, und Missy Elliott (32) im direkten Vergleich zu den Pop-Sprösslingen Britney Spears (22) und Pink (24) ab?

Beginnen wir mit der Frau, die in den vergangenen Jahren HipHop mitrevolutioniert hat. In Kooperation mit Timbaland kreierte Missy Elliott aufregende neue Sounds, die zuhauf Trittbrettfahrer adaptierten und wiederverwerteten. Doch niemand kann es so gut wie die Chefin im Ring. Im Jahresrhythmus veröffentlicht sie Alben. Schnellschüsse sind keine darunter. Bei „This Is Not A Test“ (Eastwest) ist der Name Programm. Die vierzehn Songs haben die Testphase längst durchlaufen. Wieder zaubert Missy mit souveräner Lässigkeit eine Überraschung nach der anderen aus dem Hut – siehe „Pass The Dutch“ und den geschmeidigen Dancehall in „Keep It Movin“. „Dats What I’m Talking About“, ein prickelndes Duett mit R. Kelly, erinnert stark an die Sexphantasien eines Prince. „It’s Real“ indes ist ein Paradebeispiel modernen Souls. Missy mag nicht ihre Bestform erreicht haben. Olympiareif ist ihre Leistung allemal. Von Test kann keine Rede sein.

Auch Kylie Minogue hat schon viel ausprobiert. Ihr Devise lautet: neues Album, neuer Stil. Die Konstante ist der Sex-Appeal. Die australische Sängerin geizt ungern mit ihren Reizen. Je älter, desto mutiger wird sie. Gleichzeitig steigt ihr Selbstbewusstsein. Daher passt der Titel „Body Language“ (EMI) perfekt. Die Musik: vertonte Laszivität. Das erotisierende Spektrum reicht von gesäuseltem Elektropop („Slow“) über 80er Prince-Referenzen („Still Standing“) bis zum Dance-Pop („Promises“). Auf dem Cover mag sie ein Brigitte Bardot-Double darstellen. Drinnen ist sie ganz sie selbst. Ob ohne oder mit Gästen, die da hießen Ms Dynamite oder Green Gartside von Scritti Politti.

Von den alten „Häsinnen“ zu den Herausforderinnen. Britney Spears, mit ihrem neuen Album „In The Zone“ (Jive/BMG) in nahezu ganz Europa in den Top Ten, möchte nicht mehr so viel nackte Haut zeigen wie bisher. Das gestand sie unlängst. Dabei waren es die aktuellen Titelbilder von „GQ“ und „Esquire“, die Spears zurück ins Rampenlicht katapultierten und das Interesse an ihrem Album schürten. Für dieses sicherte sie sich die Unterstützung namhafter Pop-Künstler. P. Diddy, Madonna, Moby und R. Kelly sagten zu. Es bewahrheitet sich jedoch die Weisheit: Zu viele Köche verderben den Brei. Der rote Faden fehlt. Ebenso wie das Produzenten-Team Neptunes, das auf dem Vorgänger „Britney“ mit sicherer Hand die Zügel in selbiger hielt. Sie hätten sicherlich die abschließenden belanglosen Dance-Pop-Nummern „Shadow“ und „Brave New Girl“ zu verhindern gewusst. Diese machen am Ende fast den positiven Eindruck von „Me Against The Music“, „Boom Boom“ und der Ballade „Touch Of My Hand“ zunichte. Es ist für die einstige Vorzeige-Jungfrau nach wie vor ein schwieriger Spagat, erwachsen und sexy zugleich zu wirken. Sie sollte einsehen, dass sie nicht Minogue, Christina Aguilera oder Pink ist.

Letztere hat mit ihrem dritten Album die richtige Parole ausgegeben: „Try This“ (BMG). Nach Ausflügen zum Teenie-Pop und in den R&B kokettiert sie jetzt mit Rock. Sie braucht nicht die Wilde zu mimen. Ihr Auftreten spiegelt ihr Naturell wieder. Hatte auf dem Vorgängeralbum die ehemalige 4 Non Blondes-Frontfrau Linda Perry einen Großteil der Songs geschrieben, war es auf „Try This“ Tim Armstrong, Gitarrist und Sänger der rotzigen Punkrocker Rancid. Die Songs tragen seine Handschrift. Gitarren allerorten. Zum Beispiel in „Trouble“, „Last To Know“, dem aufreizenden „Oh My God“, dem coolen „Hooker“ und „Walk Away“. Armstrong, Perry & Co. sind die richtigen Partner gewesen, um Pink ein abwechslungsreiches Album auf den Leib zu schreiben, das eine Brücke von Dance-Pop zu peppigem Rock schlägt. Somit hat am Ende sie die Nase vorn. Knapp dahinter rangieren Missy und Kylie. Die rote Laterne geht an Britney.

Kai Florian Becker (im Dezember 2003)