Fettes Brot: Größenwahnsinig wie wir sind

1992 gründeten die Vorstadt-Gymnasiasten Boris Lauterbach, besser bekannt als König Boris, Martin Vandreier alias Dokter Renz und Björn Warns (Björn Beton) Fettes Brot. Seitdem hat die Hamburger HipHop-Band scheinbar mit Leichtigkeit unzählige Hits geschrieben: angefangen bei “Nordisch By Nature” und “Jein” über “Viele Wege führen nach Rom” und “Schwule Mädchen” bis hin zu “Bettina, zieh dir bitte etwas an” und aktuell “Kontrolle”, einer Auskopplung aus ihren beiden zuletzt veröffentlichten Livealben “Fettes” und “Brot”. Wie es möglich ist, über Jahre konstant hohe Qualität abzuliefern, das erklärt Boris Lauterbach.

Auf der Facebook-Website von Fettes Brot steht: “Fettesbrot packt seine Koffer und nimmt mit: Das Nervenkostüm!” Sie sind doch nicht etwa aufgeregt, wenn Sie auf Tournee gehen?
“Das Nervenkostüm ist unsere achtköpfige Band, die wir liebevoll so nennen. Davon ab: Wenn man jeden Abend vor ein paar tausend Leuten auf die Bühne geht, und wenn man will, dass alles funktioniert und gut wird, und mit einer gewissen Leidenschaft bei der Sache ist, bleibt Nervosität nicht aus.”

Das Video zur aktuellen Single “Kontrolle” entstand unter der Regie von Björn Beton. Er hatte erstmals Regie geführt. Woher hat er den Sachverstand?
“Um Sachverstand haben wir uns noch nie gekümmert, sonst hätten wir uns nie auf die Bühne gewagt. Im Ernst: Björn hatte eine gute Idee, sich Hilfe genommen und sein Konzept seinen Vorstellungen entsprechend umgesetzt. Das Resultat spricht für sich.”

Und wurde auf Netzpolitik.org gepostet, einem Blog für Freiheit und Offenheit im digitalen Zeitalter. War es Ihre Intention, so ernst genommen zu werden?
“Auf jeden Fall. Wer was nachher mit unserem Video macht, das können wir nicht beeinflussen. Unser Ziel war es, das Thema Kontrolle, Überwachungsstaat und Internetsperre in einen Popsong einzubringen. Wenn das Ergebnis dann auch auf solchen Seiten besprochen wird, freuen wir uns durchaus.”

In dem Lied setzten Sie den Auto-Tune-Effekt ein, der die Stimme künstlich verändert. Kommt heutzutage kein Popalbum ohne diese nervige Spielerei aus?
“Sicherlich. Aber es passte inhaltlich bestens. Der Auto-Tune kontrolliert ja die Stimme, damit die Töne immer richtig liegen.”

Ist Fettes Brot nun eine politische und doch keine Unterhaltungsband?
“Das ist kein Wiederspruch. Wir sind beides. Wir haben keine Scheu, unsere Ansichten kundzutun. Doch wird man bei uns keinen erhobenen Zeigefinger sehen. Besonders gelungen ist ein Lied dann, wenn man dazu in der Disco tanzen kann und zuhause beim genaueren Studium des Textes ins Grübeln kommt.”

Hätten Sie es in den Neunzigern je für möglich gehalten, auch 2010 noch mit Fettes Brot zu touren und Alben zu veröffentlichen?
“Vor 18 Jahren hätte ich bestimmt nein gesagt. Wir sind keine Band, die große Zukunftspläne schmiedet. Unsere Planungen erstrecken sich immer auf ein halbes, maximal auf ein Jahr. Ich kann mir durchaus vorstellen, mit 60 Jahren noch Musik zu machen. Solange wir Spaß an der Sache haben, das Gefühl überwiegt, dass wir noch relevant sind, und sich die Leute für uns interessieren, machen wir weiter.”

Wie sehen Sie die Veränderungen, die der deutsche HipHop in den letzten Jahren durchgemacht hat?
“Der HipHop hat die Entwicklungen genommen, die alle Subkulturen durchmachen, wenn sie in den Mainstream Einzug erhalten. Es gibt eine gewisse Pluralität: verschiedene Stile und verschiedene Ansätze. Das wiederum kann auch zu einer Art Beliebigkeit führen. Letztlich ist der HipHop ein fester Bestandteil der Musikkultur, der sicherlich auch in Zukunft immer mal wieder aufregende Künstler hervorbringen wird. Leider sind momentan die Dummdreisten etwas lauter als die Intelligenten. Aber das kann sich wieder ändern. Ich halte nichts von Pessimismus und hoffe aufs Beste.”

Was ist das Geheimnis, dass Fettes Brot seit 18 Jahren zusammen sind?
“Es ist eine Mischung aus vielen Dingen. Wir haben im Verlauf unserer Karriere nicht jeden Euro mitgenommen, den wir hätten verdienen können und haben uns eher für die Kunst denn fürs Geld entschieden. Dann wären da die drei Typen in der Band: Wir mögen uns und inspirieren uns gegenseitig. Wir sind in erster Linie Freunde, dann erst Kollegen. Außerdem sind wir nach wie vor neugierig und haben tierischen Spaß, Platten aufzunehmen, auf Tour zu gehen und unser Leben mit Musik zu beschreiten. Ohne den Spaß würde es keinen Sinn mehr machen.”

Und warum sind Ihre Songs seit jeher so erfolgreich? Liegt es daran, dass Sie musikalisch stets am Puls der Zeit sind? Oder an der Ironie in Ihren Songs?
“Beides. Wir beschäftigen uns eingängig mit aktueller Musik und vermeiden es, uns zu wiederholen. Viele Fans sind mit uns gewachsen. Andererseits ist es erstaunlich, wie viele junge und neue Fans auf unseren Konzerten auftauchen. Das gibt uns ein sehr gutes Gefühl.”

Man hat nicht den Eindruck, Sie würden sich zu ernst nehmen, zugleich aber nehmen Sie Ihren Job sehr ernst.
“Das ist schön gesagt. Ein ironischer Abstand zu sich selbst, ist ungemein wichtig: im Privatleben und erst recht als Popstar. Wenn man sich jeden Tag so benimmt, als sei man am offenen Herzen operiert, wäre das sehr schnell peinlich. Glücklicherweise haben wir diese Distanz. Aber sobald wir in ein Studio oder auf eine Bühne gehen, haben wir den Ehrgeiz, es so gut zu machen, wie wir können.”

Seit längerem erscheinen Ihre Tonträger auf Ihrem eigenen Label Fettes Brot Schallplatten. Vielen Künstlern wäre das zu viel; sie konzentrieren sich auf die Musik und kümmern sich weniger ums Business…
“Wir sind eine gewachsene Truppe, der auch noch andere angehören. Der Ehrlichkeit halber muss ich sagen, dass sich eben diese anderen um das Label kümmern. Unser Hauptaugenmerk liegt auf der Musik. Wir treffen uns nur ein Mal die Woche und besprechen geschäftliche Dinge.”

Bei einer anderen Plattenfirma wäre es vielleicht nicht so einfach zu realisieren gewesen, zwei Livealben an einem Tag zu veröffentlichen. Wieso eigentlich zwei separate Alben?
“Das hat mit popkulturellen Zusammenhängen zu tun. Die Beatles haben das schon so gemacht und auch Gun’n’Roses. Wir wollten uns – so größenwahnsinnig wie wir sind – da einreihen. Daher haben wir zwei durchdesignte, edel verpackte Alben herausgebracht.”

Kai Florian Becker (Mai 2010)