Experimance Festival: Künstlerische Raumgestaltung

Nach der Premiere im letzten Jahr findet in diesem Monat die 2. Ausgabe des „Experimance Festival“ statt. Erneut ist das multidisziplinäre Kunstfestival dezentral und kann an verschiedenen Orten in Saarbrücken erlebt werden: im Garelly Haus, in der Johanneskirche und am Osthafen – im Sektor Heimat sowie im Silodom.

Der Ursprung des „Experimance Festival“ wurde 2016 als Klangkunst-Veranstaltung im Saarbrücker Club Mauerpfeiffer gelegt. Die Idee, experimentelle Musik, Klangkunst und Performancekunst miteinander zu verbinden, kam sehr gut an, und so entwickelte sich das Projekt zu einer Institution innerhalb der jungen, freien Szene Saarbrückens. Um dieser Entwicklung Rechnung zu tragen, wurde vom Prospektiv e.V. das „Experimance Festival“ konzipiert, das im letzten Jahr trotz der Einschränkungen durch die Coronapandemie seine Premiere feierte. „Abgesehen von ein paar Startschwierigkeiten, bedingt durch die pandemische Lage, war das erste Festival ein nachhaltig positives Erlebnis. Noch während der ersten Veranstaltung haben wir uns dafür entschieden, es in diesem Jahr erneut zu organisieren“, blickt Kathrin Lambert, die künstlerische Leiterin, zurück. Sie ist selbst Künstlerin, DJane und Mediendesignerin und fühlt sich von Natur aus in verschiedenen Kunstdisziplinen zuhause.

Nach dem Erfolg im letzten Jahr wurde am Grundkonzept des Festivals nichts geändert. „Im Fokus stehen weiterhin Klangkunst, experimentelle Musik und Performances, die es in zwei Ausstellungen und an Konzertabenden im Garelly Haus, der Johanneskirche und am Sektor Heimat beziehungsweise Silodom zu bestaunen gibt. Am Festivaltag, samstags also, gibt es mittags ein partizipatives Workshop-Programm. Durch die Nacht geht es mit der Silodom-Clubnacht, die wir im vergangenen Jahr leider auslassen mussten. Den Abschluss des Festivals bildet am Sonntag das gemütliche Ausklingen im Biergarten am Osthafen“, fasst Lambert zusammen.

Neu im Programm sind die akustischen Stadtführungen respektive Hörspaziergänge. Diese „sind in der Klangkunst eine gängige Praxis, um sich intensiv mit seiner klanglichen Umgebung, der Soundscape, auseinandersetzen“. Das Künstlerduo Waldlust, bestehend aus Tobias Schmitt und Lasse-Marc Riek, wird die Teilnehmer „auf eine ganz eigene und wundervolle Reise durch die Welt der alltäglichen, aber dennoch besonderen Klänge“ mitnehmen und für diese „sensibilisieren“. Die Idee dahinter ist, den urbanen Raum neu kennenzulernen beziehungsweise anders wahrzunehmen. Der Hörspaziergang „ist quasi eine Einführung in das Thema Deep Listening, also das genaue oder konzentrierte Hin- und Zuhören“, so Lambert.

Das Festival gastiert in diesem Jahr erstmals in der Johanneskirche, in der in den letzten Jahren immer wieder Events beheimatet waren. Die dortige Kulisse ist eindrucksvoll, aber vermutlich auch eine knifflige Aufgabe, sie ganzheitlich zu gestalten. „Sich eines so aufgeladenen Raums anzunehmen, ist schon eine Herausforderung“, bestätigt Lambert. „Aber genau da liegt für uns und die Künstlerinnen und Künstler auch das Spannungsfeld. Es wird in der Kirche nur rein akustische Performances ohne elektronische Verstärkung geben, damit die Energie des Raumes genutzt werden kann. Neben selbstgebauten analogen Instrumenten von Hans van Koolwijk, die auch visuell zu beeindrucken wissen, wird es beispielsweise eine Performance mit Stimme und Orgel von Lisa Ströckens und Felix Römer geben“. Dass das Festivalprogramm ihre Handschrift trage, liegt für Lambert in der Natur der Sache. Sie sei aber stets darauf bedacht, „eine gute Mischung an unterschiedlichen Ansätzen und Herangehensweisen zu zeigen, die in unser Konzept passen. Dank der Erweiterung unseres Teams hatte ich in diesem Jahr Unterstützung bei der Auswahl der gezeigten Positionen, wodurch sich auch weitere Einflüsse in der Gestaltung des Line-ups bemerkbar machen“.

Für Lambert und ihr Team war es bei der Programmgestaltung selbstverständlich, auch hiesige Künstlerinnen und Künstler zu integrieren. In diesem Jahr sind es neun Solokünstlerinnen und -künstler und vier Acts aus dem Saarland plus vier weitere Artisten, die ihre Wurzeln im Saarland haben. Mit dabei sind das Avantgarde-Krautrock-Kollektiv Datashock und der bekannte Electromusiker und DJ Roger Reuter alias Roger23. Die lokale Szene zu unterstützen und „Locals beim Festival zu involvieren“ sei ihnen wichtig und mit „ein Grund, warum wir das Festival überhaupt ins Leben gerufen haben. Wir wollen mit unserer kulturellen Arbeit lokalen Künstlerinnen und Künstlern eine Bühne bieten und Saarbrücken auf das Radar der internationale Klangkunst Szene rufen“.

Davon profitiert in diesem Jahr Roger23. Nachdem es längere Zeit ruhig um ihn geworden war, wird er endlich wieder in Saarbrücken auflegen. Er nahm sich mit Beginn der Pandemie eine Auszeit, weil er der Techno- und House-Szene im Allgemeinen etwas überdrüssig war und auch um sich in Ruhe um seinen Vater kümmern zu können. Da er sich aktuell in geschlossenen Räumen noch etwas unwohl fühlt – er sagt sogar von sich, mittlerweile etwas „soziophob“ zu sein – , kam es ihm entgegen, dass das Festival am Osthafen einen Außenbereich hat. Hier will er die industrielle Peripherie beschallen. „Ich möchte einen Klangteppich erschaffen und den noch vorhandenen Industriecharme herauskitzeln“, erzählt er. „Ich kenne die Örtlichkeit ganz gut und weiß genau, zu welcher Uhrzeit sie wie funktioniert. Es gibt zwei, drei Tracks, wenn die laufen und man blickt dabei aufs Kraftwerk, da ist was ganz Besonderes. Dazu zählen etwa ‚Hallogallo‘ von Neu! oder etwas von dem englischen Musiker Shackleton – Sachen, die etwas epischer sind und einen Soundtrack im Kopf generieren. Ich will mit der Musik den Raum füllen und die Leute etwas fordern, vielleicht auch etwas überfordern.“

Dass eine Festivalgestalterin für alle gebuchten Artisten brennt, ist selbstverständlich. Dennoch fiebert Lambert einem Programmpunkt besonders entgegen: „Wir hatten das Glück, das Ensemble Atonor für einen Auftritt am Samstag zu gewinnen. Das spielt auf den Instrumenten des renommierten Klangkünstlers Erwin Stache. Der frische Geist der jungen Ensemble-Mitglieder trifft hierbei auf die ausgeklügelten und technisch sehr ausgereiften Klangobjekte des Künstlers“.