Jahre nach ihren größten Erfolgen locken The Prodigy weiterhin Massen an Fans an. Über 6.000 kamen in die ausverkaufte Rockhal und wurden Zeugen einer tadellosen Mucki-Electrowumms-Show.
Großer Andrang herrschte am Sonntagabend in der Escher Rockhal, denn die Big Beat/Drum’n’Bass-Veteranen The Prodigy hatten zum Mittanzen und Mitzappeln geladen – vier Jahre nach ihrem letzten Konzert an gleicher Stätte, dem ersten der Rockhal überhaupt.
Bei dem Gedränge und hohen Geräuschpegel im Foyer ging fast unter, dass das britische Quartett Enter Shikari überpünktlich das Vorprogramm eröffnet hatte. Ihnen war auch nur ein gerade mal passabler Sound zugestanden worden, worunter der avantgardistischer Electro-Hardcore zu leiden hatte. Was man aus dem Klanggemenge heraushören konnte, war allerdings interessant. Enter Shikari klangen so, als hätten Refused nie das Handtuch geworfen, sondern ihren progressiven, wilden Hardcore stetig weiterentwickelt und stückweise mit Electro verfeinert. Sicherlich war das nicht die perfekte Musik, um alle Prodigy-Fans zufrieden zu stellen. Aber immerhin hatten Enter Shikari gewisse Gemeinsamkeiten mit Prodigy: Auch sie machen (zumindest teilweise) electronische Musik mit verzerrten Gitarren und viel Wumms. Nach 30 Minuten verabschiedeten sie sich mit dem Song „Juggernauts“ und den Worten: „Have a splendid evening!“
Der besagte großartige Abend wurde mit Maschinengeräuschen, Sirenengeheul, einem Trommelwirbel und Gitarrenfeedback eingeläutet. The Prodigy kamen in Bestbesetzung, ergo mit Keyboarder Liam Howlett, Sänger Keith Flint und dem zwischenzeitlich abtrünnigen Maxim Reality (ebenfalls Gesang), auf die Bühne und legten mit einem der neueren Songs los: „World’s On Fire“. Die Lichtshow war dermaßen hell und wild, es tat in den Augen weh, in Richtung Bühne zu blicken. Obendrein hämmerten die Bässe mit einer Wucht aus den Lautsprechern, dass auch in den hintersten Reihen einem noch die Hosenbeine schlackerten und die Bauchdecke vibrierte. Von der immensen Lautstärke ganz zu schweigen. Es nutzte auch nichts, zu prüfen, ob die Ohrenstöpsel raus gefallen waren. Die saßen tief und fest in den Gehörgängen. Also blieb einem nichts anderes übrig, als sich an diese Umstände zu gewöhnen. Die gelungene Songauswahl machte es einem wenigstens leicht. The Prodigy ließen nämlich kaum Wünsche offen. Auf „World’s On Fire“ folgte „Breathe“, kurz darauf dann „Poison“. Bei Letzterem fiel auf, dass die Ohrwürmer aus den Neunzigern um Nuancen verändert worden waren, im Kern aber der Originalversion entsprachen. „Poison“ klang beispielsweise nur eine Spur dramatischer.
Insgesamt glich das Szenario in der Rockhal dem eines Techno-Raves. Wild im Takt zappelnde Fans, deren Pupillen unnatürlich stark erweitert waren und die am Fließband hysterische Jubelschreie ausstießen. Am erstaunlichsten war, dass die mit massig Muskeln bepackten Sänger Flint und Maxim Reality, beide Anfang 40, keine Konditionsschwächen zeigten und ständig in Bewegung waren. Abgesehen von den fast immergleichen Ansagen – von „Where are my people?“ über „Where are my warriors?“ bis hin zu „Where are my voodoo people?“ – boten sie eine von Testosteron geschwängerte Mucki-Electrowumms-Show par excellence. Die Songs „Firestarter“, „Voodoo People“, „Smack My Bitch Up“, „Out Of Space“ und „No Good (Start The Dance)“ hielten die Stimmung bis zum Schluss nah am Siedepunkt. So dass nicht nur Arme fortwährend in die Luft gestreckt wurden, sondern auch diverse Krücken. Und unzählige Mobiltelefone, um einige Momente dieses Abends für die Nachwelt festzuhalten beziehungsweise um am Tag danach dem lädierten Gedächtnis auf die Sprünge zu helfen.
Kai Florian Becker (Dezember 2009)