20 Jahre Haldern Pop

Dieses Sommerwetter ist fast zu schön, um wahr zu sein. Vor allen Dingen ist es zu heiß. Zum 20. Jubiläum des Haldern Pop Festivals mussten sich die Veranstalter keine Gedanken über Regen und Windböen machen. Viel mehr um die Gluthitze. Zwei Tage vor Start des Festivals gaben sie bekannt, dass offenes Feuer und Grillen auf dem Camping-Terrain untersagt sei. Zur Vorbeugung gegen Brände. Gleichzeitig wurden Anwohner des idyllischen Städtchens am Niederrhein aufgerufen, Schläuche und Rasensprenger zur Verfügung zu stellen. Sicher ist sicher. Passiert ist Gott sei Dank nichts.

Zur Erfrischung der Besucher wurden vier große Propeller und eine improvisierte Sprenkelanlage installiert. Sponsoren verteilten Sommermützen und Handventilatoren. Man wusste sich zu helfen. Die einzige Sorge, die blieb: Am Freitag gab es noch 800 der auf 5000 begrenzten Festivalkarten. Woran es lag, dass die Rekordzahl von 6000 Besucher im letzten Jahr nicht erreicht wurde, wusste Organisator Stefan Reichmann nicht zu beantworten. So bleiben die Mutmaßungen, dass die Hitze Kurzentschlossene abgeschreckt habe. Auch das Programm las sich im Vorfeld weniger spektakulär als das der Jahre zuvor. Im Nachhinein muss man jedoch den Organisatoren einmal mehr assistieren, ein glückliches Händchen bei der Auswahl der Bands gehabt zu haben.

Diejenigen Künstler, die man nicht einzuschätzen wusste und von denen weniger erwartet wurde, trumpften auf. Einige Etabliertere enttäuschten. Evan Dando etwa. Der ehemalige Kopf der Lemonheads wurde seinem Image, ein überdrehter und verrückter Kerl zu sein, vollends gerecht. Er hatte bei der Hitze keine Lust auf Nebel auf der Bühne. Nachdem er mehrfach darauf hingewiesen hatte, riss ihm der Geduldsfaden. Er legte hektisch seine Gitarre ab, sprang zum Bühnenrand, ergriff die Nebelmaschine und schmiss sie mit Wucht in den Bühnengraben. Dann nahm er wieder die Gitarre auf und mimte – so als wäre nichts geschehen – den zerbrechlichen Songschreiber. Sympathiepunkte brachte ihm das keine ein.

Im Gegensatz zu den vielen Newcomern, deren Namen selbst Musikexperten vor dem Festival nicht vertraut waren. Das dänische Quartett Kashmir überzeugte mit einer brillanten Vorstellung. Sie haben verstanden, um was es bei Britpop geht: Melodien für Millionen. Ihre Gesinnungsgenossen Belasco unterstrichen, dass sie keinesfalls Coldplay-Plagiatoren sind. Samstags standen Koufax (Beach Boys trifft The Cure), Isolation Years und Dead Man Ray als erste auf der Bühne. Natürlich bei praller Hitze. Zu ihrer Überraschung ließ sie das Publikum nicht im Stich und gesellte sich zur Bühne. The Cure hört auch Bright Eyes-Frontmann Conor Oberst gerne. Nur konnten seine zerbrechlichen Songs bei einer Spielzeit von einer Stunde nicht den Spannungsbogen halten. Ein ähnliches Schicksal ereilte The Cardigans. Die Band um die bezaubernde Sängerin Nina Persson beging den Fehler, ihre älteren Pop-Liedchen dermaßen zu entschärfen, dass sie überzuckert schmeckten. Patti Smith, die Grande Dame der New Yorker Punkszene, hat bei weitem nichts an Schärfe und Biss verloren. Parolen gegen die Bush-Regierung und pro Unterstützung der Dritten Welt gehörten ebenso zum diesjährigen finalen Akt des Haldern Festivals wie das Vortragen eines Hermann Hesse- und William Blake-Gedichts. Smith war eine Wilde und sie ist eine Wilde geblieben. Sie war die Königin von Haldern. Das zeigte auch ihre exzellente Songauswahl, die „People Habe The Power“ und „Because The Night“ einschloss.

Kai Florian Becker (im August 2003)