Mit ihrem UK-Nummer-Zwei-Album „My Love Is Cool“ hatten es im November die Newcomer Wolf Alice auf die Liste der Nominierten für den britischen „Mercury Prize“ geschafft. Von der Chartplatzierung und von der Nominierung hatte das Londoner Quartett vor einen Jahr nicht im entferntesten zu träumen gewagt. Ein Gespräch mit Bassist Theo Ellis über die damit verbundenen hohen Erwartungen, ihre angebliche Nähe zum Grunge und die Tatsache, dass sie am 13.11.2015 kurz vor den Pariser Attentaten auf der Bühne des Pariser La Cigale, rund 20 Autominuten vom Bataclan entfernt, standen.
Sie stürmten mit Ihrem Debütalbum auf Platz zwei der UK-Charts. Was soll jetzt noch kommen? Werden Sie enttäuscht sein, wenn mit dem nächsten Album nicht mindestens Platz zwei rausspringt?
Wir hatten nie die Intention, hoch oben in den Charts zu stehen. Wir wollten lediglich ein Album aufnehmen, auf das wir alle stolz sein können. Uns reicht es, wenn wir auch auf das nächste Album stolz sind. Wir müssen nicht unbedingt noch weiter oben in den Charts stehen.
In der Presse fällt bei der Umschreibung Ihrer Musik immer wieder der Begriff Grunge. Sind Sie ein großer Grunge-Fan?
Ja. Wer hört das nicht und ist kein Fan davon? Es ist ja fast ein Klischee, Grunge zu mögen. Nimm nur einmal Nirvana: die hört doch jeder. Aber Grunge ist sicherlich nicht unser Haupteinfluss. Wir sind von vielen verschiedenen Arten Musik inspiriert. Ich kann zwar verstehen, dass man Grunge im Zusammenhang mit uns immer wieder in den Vordergrund rückt. Aber wenn du dir das komplette Album anhörst und auch unsere EPs und B-Seiten, würdest du Wolf Alice kaum als Grunge-Band bezeichnen. Zumindest hoffe ich das.
Verstehen Sie mich nicht falsch, aber Bassisten haben beim Songwriting selten großes Mitspracherecht. Wie war das bisher bei Ihnen? Wie ist die Aufgabenverteilung bei Wolf Alice?
Wir arbeiten generell eng zusammen. Es gibt aber tatsächlich Songs, die Ellie (Roswell – Sängerin/Gitarristin) im Alleingang geschrieben hat. Ich weiß nicht, wie es ansonsten für Bassisten läuft, was Klischee ist und was nicht, aber wir teilen uns die Arbeit auf. Jeder kann seine Ideen in den Topf werfen.
Sie waren 2015 für den renommierten „Mercury Prize“ nominiert, den letztlich aber Benjamin Clementine für sein Album „At Least For Now“ gewann. Wie reagierten Ihre Freunde und Verwandten auf die Nominierung?
Es ist eine Sache, seinen Freunden immer zu sagen, dass du seit langer Musik machst. Es ist eine andere, wenn du für den „Mercury Prize“ nominiert wirst. Das wird im ganzen Land zur Kenntnis genommen. Ich glaube, so etwas beeindruckt die Leute.
Das Gute am „Mercury Prize“ ist, dass er im Vergleich zu anderen nationalen Preisen wie etwa dem deutschen „Echo“ nicht auf Verkaufszahlen basiert, sondern auf Qualität.
Ja, stimmt, das macht ihn besonders.
Ich bin mir nicht sicher, ob Sie abschließend darüber reden wollen. Aber soweit ich informiert bin, waren Wolf Alice am 13.11.2015 in Paris und das sogar in der Nähe der Terroranschläge. Wie gehen Sie damit um?
Nun… An diesem Freitag… Da passierten Dinge, die wir sicherlich noch nicht wirklich verdaut haben. Die Organisatoren des „Festival Les inRocKs“ waren unglaublich tolle Leute und wollten das Festival durchziehen. Es war jeder überlassen, weiterzumachen.
Derzeit touren wir einfach weiter und versuchen, die Geschehnisse irgendwie zu kompensieren. Wenn wir zuhause sind, wird uns diese Tragödie möglicherweise wieder einholen… Wir wünschen allen Betroffenen in Paris und sonstwo alles erdenklich Gute.
Hatten Sie sich nicht die Frage gestellt, ob Sie die Tour abbrechen sollten?
Nein, nicht wirklich. Ich glaube, dass es wichtig ist, weiterzumachen – ganz gleich ob man Angst hat oder nicht.
Kai Florian Becker (November 2015)