Nils Frahm: Ein Musiker muss bibbern und zittern

Er gilt als Pianist und Komponist, widmet sich aber nicht nur der Klassik, sondern experimentiert auch mit Elektronik und rarem Instrumentarium. Nils Frahm wurde auch schon als „Keyboard-Virtuose“ bezeichnet. Seit 2005 veröffentlichte er einige Soloalben und Gemeinschaftsprojekte mit ganz unterschiedlichen Künstlern wie dem isländischen Komponisten Ólafur Arnalds und dem kanadischen Indiemusiker Peter Broderick. Derzeit tourt Frahm durch Deutschland. Ein Gespräch mit dem auskunftsfreudigen Musiker.

Sie sind kein reiner Pianist und nehmen bei Konzerten auch andere Instrumente mit auf die Bühne. Welche genau?
Da wäre zu allererst der Drumcomputer zu nennen. Dann noch eine selbst gebaute Orgel, eine Pfeifenorgel, um genauer zu sein. Es gehören auch jede Menge kleinere Effektgeräte und Sequenzer dazu. Alles, was man so braucht, wenn man auch elektronische Musik mag und macht und sich sehr viel mit Aufnahmetechniken beschäftigt. Im Prinzip steht auf meiner Bühne ein kleines, experimentelles Synthesizer-Studio mit Mischpult und allem drum und dran. Momentan mache ich nämlich diese ziemlich verrückte Show, verfolge jede Menge absonderliche Ideen und Konzepte und entwickle diese weiter.

Was ist so absonderlich und verrückt daran?
Es ist halt nichts im Sinne von 08/15. Das fängt beim Aufbau der Geräte an und reicht bis hin zur Dynamik des Sets: von sehr leise bis sehr laut. Manche Instrumente sind zum Teil selbst gebaut und es gibt sie nur ein Mal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass noch viele andere Musiker oder Gruppen mit solch einer Show in 2015 klarkommen. Ich arbeite seit eh und je mit Freunden zusammen. Sie entwickeln meine Instrumente mit, begleiten mich und sorgen für Verbesserungen und Modifikationen an meinen Geräten. Dieser Pool an Freunden ist mit mir auf Tournee. Sie sind meine Inspirationsgeber, und wir ziehen das gemeinsam durch. Ich habe nicht wie andere Musiker irgendwelche wildfremden Dienstleister angeheuert. Meine Show ist so kompliziert und einzigartig, dass man im Vorfeld lange zusammensitzen muss, um sie zu planen. Wir haben schon das Gefühl, dass wir da etwas auf die Bühne stellen, was sich sonst kaum jemand traut. Wie gesagt: Viele Instrumente sind Unikate. Wenn es ein Instrument doch mehrfach gibt, dann ist es mindestens 40 Jahre alt. Und wenn etwas defekt ist, kann es nicht mal schnell ausgetauscht oder repariert werden. Das gehört eben dazu. Es gibt einige Dinge, die mir sehr wichtig sind: etwa dass man als Künstler ein gewisses Risiko eingeht. Ich sehe in meiner Generation bei Konzerten viele aufgeklappte Laptops mit USB-Stick und Backup-Festplatte. Da kann ja absolut nichts mehr schiefgehen. Der Künstler von heute muss nicht mehr bibbern und zittern, hat alles im Griff und kann am Ende völlig souverän die Hütte abreißen. Das interessiert mich nicht. Ich finde das langweilig. Ich möchte, dass der Musiker oben schwitzt. Der Auftritt muss aufregend sein und schiefgehen können. Es muss ein Risiko geben. Was ist sonst der Einsatz? Wo bleibt sonst die Spannung? Wir haben uns daher ein Set ausgesucht, das wirklich verrückt ist. Vorausgesetzt, es klappt alles. Was allerdings nie passiert bei dem Wahnsinn, den wir da machen. Es geht immer irgendetwas kaputt. Dann liegt es an mir, die Show doch noch zu retten. Das sind die Momente, in denen du als Künstler gefragt bist und besonders aktiv bist. Genau dann muss man seine Kreativität unter Beweis stellen.

Kai Florian Becker (August 2015)