Kurt Wagner, Kopf des aus Nashville stammenden Indie-Kollektivs Lambchop, sinniert über die Frage, was ein Bild und was Musik interessant macht. Seit jeher interessiert er sich für das Wahrnehmungsvermögen. Und er gibt Tipps zur Unabhängigkeit der Musiker von Plattenfirmen.
Vorab die Frage, was das auf dem Cover des neuen Lambchop-Albums „Damaged“ ist?
„Das ist ein Huthalter. Ein paar Freunde, mit denen ich an dem Cover gearbeitet habe, haben über die Jahre seltsame alte Gegenstände zusammengetragen. Sie waren sich erst nicht sicher, wie das Cover aussehen sollte und fragten mich nach meiner Meinung. Ich erwiderte, dass ich keine spezifische Vorstellung hätte. Es könnte alles darauf zu sehen sein, sagte ich und zeigte auf den Huthalter und andere Gegenstände. Im Grunde kommt es ja nur darauf an, wie eine Idee umgesetzt wird und wie das Endergebnis aussieht.“
Hat bisher irgendjemand den Huthalter als solchen erkannt?
„Nein. Mir gefiel übrigens vor allem die Form, die er hat. Noch mehr gefällt mir daran, dass mich das Cover an ein Gemälde von Gerhard Richter erinnert. Es bringt einen dazu, zu hinterfragen, man es mag: Was fasziniert mich daran? Was macht es interessant? Und da kommen wir an einen Punkt, der mir sehr wichtig ist: das Wahrnehmungsvermögen. Wie finden wir Dinge interessant oder attraktiv?“
Sind sie von Kunst im Allgemeinen fasziniert?
„Auf jeden Fall. Die Frage, warum wir etwas interessant finden, die beschäftigt mich seit längerem. Zum Teil hat das was mit Psychologie zu tun. Doch ich bin kein Intellektueller und will vielleicht deshalb auch nicht zu hundert Prozent wissen, warum mich ein Bild anzieht und ein anderes eben überhaupt nicht. Aber interessant ist die Überlegung allemal, warum mich ein Bild anspricht, jemand anderes hingegen kalt lässt. Hat es mit der Individualität eines jeden zu tun? Oder damit, wie wir Dinge wahrnehmen?
Machen sie sich auch solch einen Kopf, wenn es um ihre Musik geht?
„Ja. Ich frage mich oft, warum es Leute gibt, die nicht verstehen, von was ich rede oder was ich mache. Das hat ja nicht nur mit dem sprichwörtlichen Inhalt, den Texten, zu tun, sondern mit dem Ganzen. Ich höre zum Beispiel gerne brasilianische und französische Musik. Dabei verstehe ich kein Wort von dem, was da gesungen wird. Da muss also etwas anderes sein, das die Leute fesselt. Natürlich ist es schön, wenn man die Texte versteht und die deine Sympathie für die Musik auch noch verstärken. Aber das ist anscheinend keine Grundvoraussetzung, Musik genießen zu können.“
Heißt das, dass sie sich Gedanken darüber machen, wie ihre Musik rezipiert werden könnte – noch bevor sie sich ans Schreiben der Lieder machen?
„Letztendlich schreibe ich einfach drauf los. Manchmal mache ich mir im Nachhinein Gedanken, wie der fertige Song beziehungsweise Text aufgenommen werden könnte. So wichtig ist mir das aber nicht, weil ich oftmals selbst nicht weiß, was ich da getan habe. Ich weiß aber, dass da etwas ist, das mir an dem entsprechenden Song gefällt. Es dauert nur oft eine ganze Weile, bis ich erkenne, was es ist – wenn überhaupt. Mitunter reicht mir schon die Vorstellung, dass irgendjemandem der Song gefallen wird. Egal aus welchen Grund. Vielleicht müssen wir überhaupt nicht über Songs reden, wenn wir sie verstehen und fühlen können. Es gibt schließlich eine Art der unterschwelligen Kommunikation, die wortlos funktioniert.“
Interessiert es sie denn, was die Kritiker über ihre Band schreiben?
„Nun, sie sind frei und können schreiben, was sie wollen. Ich würde nicht sagen, dass ich schnell vergesse, was man so schreibt. Selbst wenn ich nicht lese, was da geschrieben wird, es gibt genügend Leute, die es mir erzählen. (lacht) Man kann nicht ignorieren, was die Kritiker sagen. Ich finde es natürlich großartig, wenn meine Musik gemocht wird. Teil des Künstlerdaseins ist es ja, dass man gemocht werden will. Das trifft sicherlich auf viele Künstler zu.“
Und wenn die Leute die Musik mögen, kaufen sie die Platten. Und wer viele Platten verkauft, dessen Plattenvertrag wird verlängert.
„Dadurch ist natürlich garantiert, dass du immer wieder ein Album aufnehmen kannst. Mit Lambchop verfolgen wir aber eine andere Marschroute. Wir planen immer nur bis zum nächsten Album. Wir wollen stets gerade nur so viel Geld verdienen, damit es für die nächste Platte reicht. Deshalb haben wir alle jahrelang noch nebenher unseren Lebensunterhalt verdienen müssen. Das gab uns wiederum ein Gefühl von Unabhängigkeit. Uns war es letztlich egal, ob wir einen Vertrag hatten. Wir hätten so oder so Musik gemacht. Solange genügend Geld für neue Aufnahmen da gewesen wäre. Darauf lag und liegt unsere ganze Aufmerksamkeit. Die Plattenfirma sollte nicht die Entscheidungsgewalt darüber haben, ob du ein weiteres Album einspielen und veröffentlichen darfst oder nicht. Ein Künstler sollte das selbst entscheiden können. Viele Leute kommen nach Nashville, um entdeckt und von Plattenfirmen unter Vertrag genommen zu werden. Sie hätten am liebsten gleich eine Karriere und großen Reichtum auf dem Präsentierteller dargereicht bekommen. Dafür geben sie alles auf. Aber am Ende sind sie nur frustriert, weil es nicht nach ihren Vorstellungen läuft. Die Frage ist, ob ihre Motivation die Musik ist. Oder sie von anderem Mist getrieben sind: Karriere oder dem Drang, berühmt werden zu wollen.“
Haben sie nach wie vor noch einen anderen Job? Früher hatten sie bekanntlich als Fußbodenleger gearbeitet.
„Mittlerweile ist Lambchop mein Job. Aber das war wiederum auch nur ein Zufall. Gerade als ich aus physischen Gründen keine Böden mehr verlegen konnte, wurde die Arbeit mit Lambchop immer mehr. Das war eine graduelle Entwicklung. Jetzt bin ich sozusagen der Verwalter der Lambchop-Welt. Und das ist durchaus eine Aufgabe.“
Kai Florian Becker