Ein paar hundert Meter entfernt vom imposanten Stadion des 1887 von katholischen irischen Einwandern gegründeten Fussballclubs F.C. Celtic Glasgow liegt ein überschaubares Industriegebiet. In einem der wenigen Bürogebäude hat sich vor ein paar Jahren im obersten Stockwerk die junge und aufstrebende Plattenfirma Chemikal Underground Records eingenistet.
Wer diese Firma nicht kennt, der sollte sich schleunigst über Bands wie Bis, Magoo, The Delgados, Arab Strap, Suckle, Radar Bros., Cha Cha Cohen und Mogwai informieren, denn sie wurden oder werden noch alle ganz gross. Wer hätte das gedacht, denn die Labelmacher hatten kaum Geld als sie Ende 1994 der Idee nachgingen, lieber ein eigenes Label zu gründen als sich irgend jemand anderes anzuvertrauen. Blicken wir doch zurück und befragen Stewart Henderson und Alun Woodward, beides Musiker der Delgados, zu ihrer bisher erfolgreichen Karriere als Labelbosse.
Mogwai und Arab Strap sind bzw. waren eure besten Pferde im Stall. Sie haben den Namen eures Labels weit in die Welt hinaus getragen und euch über die britischen Grenzen hinaus bekannt gemacht. Ihr habt sie entdeckt und ihnen die Chance gegeben, ihre Musik der Öffentlichkeit vorzustellen. Fünf Jahre nun schon gibt es eure Firma und angefangen hatte es mit einer Single eurer eigenen Band The Delgados. Rückblickend müsstet ihr stolz auf das sein, was ihr alles erreicht habt.
Alun: „Von Beginn an war klar, dass wir auch mit anderen Bands arbeiten und die Labeltätigkeiten nicht nur auf Delgados beschränken wollten. Wir wollten eine richtige Plattenfirma gründen und unsere Ideen verwirklichen. Nach unseren Vorstellungen sollten innerhalb kurzer Zeit einige kreative Künstler um uns geschart und das Labelprogramm somit stetig erweitert werden. Natürlich sind wir überrascht und stolz darauf, was aus diesem naiven Plan mittlerweile geworden ist. Immerhin hatten wir nur ein lächerliches Startgeld von 1.000 Pfund zur Verfügung.“
Ist es einfach, in Grossbritannien ein Label aus dem Boden zu stampfen. Ich weiss, dass es zum Beispiel die Indiefirmen in Deutschland sehr schwer haben, einen Vertrieb zu finden.
Alun: „Das selbe Problem haben wir hier auch. Es gibt kaum gute Vertriebe. Aber wir hatten Glück, denn gleich unsere erste Single kam bei unserem jetzigen Vertrieb gut an. Der Zuständige war ein Musikfan. Ihm ging es nicht um Verkaufszahlen, sondern einfach um Qualität. In den darauffolgenden Monaten zeigte sich, dass er sich für unsere Bands und unser Label stark machte und alle Hebel in Bewegung setzte. Es ging sogar so weit, dass die Bands bei ihm in London übernachteten, wenn sie dort auftraten oder durchreisten.“
Nach der angesprochenen limitierten Delgados-Single „Monika Webster/Brand New Car“ hattet ihr danach die Single „Disco Nation 45“ von Bis veröffentlicht. Diese sorgte für viel Furore und landete im Nu auf Platz 24 der UK-Charts. Das muss euch wie ein Schlag getroffen haben.
Alun: „Wir liessen erst einmal 2.000 Kopien pressen und dachten, das sei völlig ausreichend. Dann rief der Vertrieb an und verlangte weitere 6.000 Singles. Am nächsten Tag wollten sie schliesslich 30.000 Kopien, da Bis im Fernsehen bei Top Of The Pop auftreten sollten. Das war eine verrückte Zeit, kann ich dir sagen. Bis hatten nicht einmal einen Vertrag mit uns abgeschlossen, und plötzlich wollte jeder mit ihnen anbändeln. Jeder war an ihnen dran.“
Stewart: „Ich muss in diesem Zusammenhang einwenden, dass ich auf das erste Arab Strap-Album weitaus stolzer bin als auf die Bis-Single. Wir haben Arab Strap entdeckt und geformt. Nach ihrer Debüt-Single ‚The First Big Weekend‘ setzten wir uns mit ihnen an einen Tisch und diskutierten die weiteren Schritte. Insofern haben wir ihren Weg mit beeinflusst und die Band in eine bestimmte Richtung gelenkt. Bei Bis lief alles von selbst. Sie wurden mit der Single berühmt, nach einer Weile von der Presse ausgeschlachtet und irgendwann fast vergessen. Mit Arab Strap verlief es eher umgekehrt.“
Bis wechselten früh zu Wiiija Records. Anfang 1998 waren es Arab Strap die gingen und bei dem Major Go Beat unterschrieben. Wie wichtig waren sie in all den Jahren für Chemikal Underground Records?
Stewart: „Sie waren absolut lebenswichtig. Mit der ersten Bis-Single kam zum einen Geld in die Kasse, zum anderen stieg unser Ansehen in der Öffentlichkeit. Erst wurden wir mit dem speziellen Bis-Sound gleichgesetzt, doch mit Hilfe von Arab Strap konnten wir uns von diesem Image lösen. Arab Strap und Bis sind zwei absolut entgegengesetzte Pole. Sie könnten musikalisch nicht weiter auseinander liegen. Die neunte Chemikal-Veröffentlichung war dann das Delgados-Debüt und darauf folgte das erste Album von Arab Strap. Plötzlich redeten alle nur noch über Arab Strap und hatten Bis schon so gut wie vergessen. Das war für die Entwicklung des Labels natürlich ein riesiges Glück. Wir machten einen Schritt nach vorne.“
Alun: „Ich kann dem nur zustimmen. Rückblickend muss ich sagen, dass wir es verstanden haben, unseren Vorwitz – in Bezug auf Musik meine ich das – mit seltsam anmutenden Bands zu stillen. Bis waren seinerzeit einmalig und ich glaube auch, dass es keine Band gibt, die so radikal und so ‚anders‘ klingt wie es Arab Strap eben tun. In ein paar Jahren werden sie bestimmt für ihr Gesamtwerk berühmt sein.“
Ihr müsst traurig gewesen sein als sie euch diesen Entschluss mitteilten…
Alun: „Die Beziehung zwischen Label und Band war nicht mehr die beste. Von daher war ich sogar froh, dass sie uns verliessen. Aber weisst du überhaupt schon, dass sie wieder zurückgekommen sind? Sie haben Go Beat verlassen und ein weiteres Mal bei uns unterschrieben… Seinerzeit waren wir wirklich erleichtert, da sich das persönliche Verhältnis zur Band erheblich verschlechtert hatte. Was nicht heissen soll, dass wir ihre Musik nicht mögen. Für ihre Entwicklung war es wichtig herauszufinden, was ein anderes Label für sie tun kann oder hätte tun können. Sie hatten einen hoch dotierten Deal an Land gezogen, aber damit auch ein Label, das von der Vermarktung der Band keinerlei Ahnung hatte. Wir wissen, was zu tun ist. Die Leute von Go Beat wussten das nicht.“
Stewart: „Arab Strap wurden von uns gesignt, ohne dass sie vorher je etwas veröffentlicht hatten – sieht man einmal von dem Demo ab, das sie einreichten. Niemand kannte sie. Mit ihnen zu arbeiten, bedeutete mit ihnen zu lernen und zu erforschen, was im Detail die Aufgabe eines Labels ist. Wir veränderten uns, sie veränderten sich. Wir wussten, dass es ein Fehler war, zu Go Beat zu wechseln. Ihre Rückkehr beweist, dass wir Recht behalten haben. Jetzt fühle ich mich auch darin bestätigt, dass wir ein aussergewöhnliches Label sind, das mit aussergewöhnlichen Bands arbeitet. Wir verstehen wohl doch was von unserem Job. Das haben auch Arab Strap just erkennen müssen. Nun haben wir ein anderes Verhältnis zu ihnen, und sie haben wahrscheinlich mehr Respekt vor unseren Leistungen. Was ich sagen will: Wir sind glücklich, dass sie zurück sind und gleich einen Vertrag über mehrere Alben unterschrieben haben.“
Ihr habt ja ein schönes und sehr geräumiges Büro. Allerdings gibt es hartnäckige Gerüchte, dass anfangs das Label seinen Sitz in einer Küche hatte.
Alun: „Das stimmt tatsächlich. Es war in Emmas (Pollock, Gitarre und Gesang bei Delgados – der Verf.) Haus im Süden Glasgows. Von dort aus hatten wir die ersten paar Jahre alles koordiniert. Erst 1998 zogen wir in diese Räumlichkeiten um. Der Arbeitsablauf erwies sich als zu schwierig, denn Emma gehört zu den Langschläfern, während Stewart und ich immer früh auf der Matte standen.“
Von Beginn an hatten eure Veröffentlichungen viele Freunde im Kreise der Presse gefunden. Wie wichtig sind für eure Arbeit Radio-DJs wie Steve Lamacq und John Peel, die in den vergangenen Jahren einige eurer Veröffentlichungen mit Nachdruck den HörerInnen angepriesen haben?
Alun: „Sie sind eminent wichtig. Es gibt leider nicht viele Möglichkeiten, um über die Medien mit guter Musik bedient zu werden. Magazine wie NME und Melody Maker kümmern sich zwar auch auf die ein oder andere Art und Weise um aufstrebende Bands, doch ein DJ wie John Peel geht ganz anders vor. Er arbeitet autonom. Wenn ein Song gut ist, dann spielt er ihn. Wenn nicht, nützt auch alles Betteln nichts. Du kannst ihm auch ein mieses Tape oder eine verkratzte Platte schicken. Wenn es ihm gefällt, dann spielt er es – egal in welchem Format. Du hörst dann sogar während seiner Show, wie er im Studio an irgend etwas rumfummelt und versucht, das Teil zum Laufen zu bekommen. Verrückt!“
Ihr habt es bereits angesprochen: Euer Label wird immer gerne mit einer Band gleichgesetzt. Erst waren es Bis, dann Arab Strap und nun Mogwai. Doch einen musikalischen Konsens sucht man vergeblich.
Stewart: „Wenn du dir all unsere Bands miteinander vergleichst, wirst du keinen Konsens finden. Okay, viele Leute reduzieren unseren Backkatalog auf Arab Strap oder Mogwai, doch das ist unfair. Jede Band klingt auf ihre Art anders.“
Alun: „Du wirst eben immer an dem gemessen, was sich am besten verkauft. Das sind nun einmal obige Bands.“
Stewart: „Ich würde höchstens der These zustimmen, dass Chemikal Underground für hohe Qualität steht – was natürlich aus dem Munde eines Labelmachers und zeitgleich Musikers, der auf dem Label veröffentlicht, seltsam klingen mag. Das war aber unsere Anfangsidee.“
Alun: „Genau, wir wollten Leute erreichen, die unser Label lieben und wissen, dass sie jede Veröffentlichung blind kaufen können, ohne enttäuscht zu werden. Das mag jetzt ein kleiner, erlesener Kreis sein. In naher Zukunft aber möchte ich die Zahl derer gerne vervielfachen.“
Wird es einfacher, neue Talente, sprich neue Bands zu finden, die für euer Label interessant sein könnten?
Stewart: „Es wird leider von Tag zu Tag schwerer. Klar, es gibt immer gute Bands. Allerdings haben wir in den letzten Monaten kaum eine neue Band unter Vertrag genommen, da fast ausschliesslich Mogwai-Tapes in unserem Büro landeten. Das ist schon komisch.“
Alun: „Natürlich sind nicht alle Demos schlecht, aber – um ehrlich zu sein – waren bis dato erst zwei gute Demos dabei und eines davon war von Arab Strap. Dennoch sind wir optimistisch. Arab Strap sind zurück, eine weitere Band ist kurz davor, bei uns zu unterschreiben (Er spricht hier wohl über Aerogramme, ebenfalls aus Glasgow kommend, die zur Zeit mit Chemikal Underground in Verhandlung stehen. – der Verf.) und wir wollen ein paar Produkte lizensieren.“
Apropos lizensieren. Stewart hatte mir vor diesem Interviewtermin erzählt, dass er das Berliner Label Kitty-Yo bewundert und gerne einige ihrer Produkte lizensieren würde. Ausserdem sagte er, gehöre es zu den wichtigsten und besten in Europa.
Alun: „Da gibt es noch ein weiteres gutes Label. Ich gab letzte Woche der Tageszeitung Scotsman ein Interview und wurde gefragt, welches Label mich inspiriert hätte. Da musste ich natürlich Warp Records sagen. Die haben einen unglaublichen Backkatalog.“
Stewart: „Noch was zu Kitty-Yo: Ich finde Tarwater und Gonzales phantastisch. Couch sind auch klasse. An denen sind wir im Grunde interessiert.“
Alun: „Couch sind live aber viel besser als auf Platte. Ihre massive Liveenergie konnten sie leider nicht auf die Platte transportieren.“
Das bewundere ich ja an Mogwai. Deren Aufnahmen versprühen diese magische Energie, die die Band vor allem live entwickelt.
Stewart: „Dafür muss man wohl Paul Savage, ihrem Toningenieur, danken. Der hat mit ihnen auf ‚Mogwai Young Team‘ gearbeitet. Der Sound ist unglaublich geworden. Er sollte mehr Credits dafür bekommen; er hatte einen grossen Anteil an dem Erfolg des Albums.“
Alun: „Für uns als Label ist es wichtig, jemanden wie Paul zu haben, dem wir voll und ganz vertrauen können. Eine unserer neuen Bands heisst Suckle und die waren gerade mit ihm im Studio. Das ist wahrscheinlich das beste Material, das Paul je produziert hat und wohl auch die am besten klingende Veröffentlichung auf Chemikal Underground.“
Welches ist die bislang wichtigste Veröffentlichung aus eurem Hause?
Stewart: „Historisch gesehen sind das Arab Strap und – das mag jetzt doof klingen – das kommende Delgados-Album. Letzteres hat in meinen Augen das Potential, unser Label weiter voran zu bringen und unseren Namen noch bekannter zu machen. Ausserdem war neben der Bis-Single auch ‚Mogwai Young Team‘ wichtig. Es war die erste wirklich gewinnbringende Veröffentlichung.“
Viele eurer Bands stammen aus Glasgow oder zumindest aus Schottland. Ist das Absicht oder eher ein Zufall?
Alun: „Da wir unseren Sitz in Glasgow haben, werden wir immer mit der hiesigen Szene im engen Kontakt stehen. Das versteht sich fast von selbst. Bevor wir Mogwai unter Vertrag nahmen, kannten wir die Jungs bereits. Auch ihren Manager, der seit seinen Kindertagen ein Freund von Andrew (Mitglied der Delgados – der Verf.) ist. Sie suchten seinerzeit ein Label und traten automatisch an uns heran. Auf der anderen Seite sind wir mittlerweile das grösste Label in der Stadt, wenn nicht gar in Schottland, und von daher versteht es sich von selbst, dass schottische Bands zuerst an unsere Tür klopfen. Das ist nicht unbedingt unsere Politik, es kam natürlich zustande. Vielleicht wird sich das ändern; ich kann es dir momentan nicht sagen. Ich denke aber, dass immer Bands aus Glasgow dabei sein werden.“
Stewart: „Wenn du das wirklich ändern wolltest, würden sie dir Diskriminierung vorwerfen…“
Alun: „…und da wir in die gleichen Pubs gehen, treffen wir die Bands regelmässig. Da sie sich alle untereinander kennen, lernst du automatisch immer mehr kennen und triffst sie regelmässiger. Daraus entwickelt sich mit der Zeit eine persönliche Bekanntschaft. Wir wollen es immer auf einer persönlichen Ebene halten und mit den Jungs auch mal einen trinken gehen und für Stunden plaudern können. Das ist eine unserer wichtigsten Maxime. Wir sind Menschen und das wollen wir bleiben. Der persönliche Touch soll nie verlorengehen.“
Glasgow hat in meinen Augen einen hohen Stellenwert innerhalb der britischen Musikszene, da hier regelmässig qualitativ hochwertige Bands auftauchen und schnell zu internationalem Ruhm gelangen. Nehmen wir nur einmal Texas, Travis, Primal Scream, Teenage Fanclub, Belle & Sebastian oder eben Mogwai und Arab Strap. Ausserdem sollten wir nicht Alan McGee, den früheren Chef von Creation Records und Entdecker von Oasis vergessen, der ebenfalls aus Glasgow stammt. Wie wichtig ist demnach Glasgow für Grossbritannien?
Alun: „Uff, eine schwierige Frage. Betrachte ich mir die Anzahl der Bands, die bislang aus Glasgow kamen… Eigentlich analysiere ich Musik nicht unter solchen Gesichtspunkten. Aber ich schätze, wir haben eine ziemlich gesunde Szene. Es gibt zumindest genügend Clubs, in denen Newcomer auftreten können. Ich weiss allerdings nicht, ob es bei uns besser ist als im Rest von Grossbritannien.“
Stewart: „Historisch gesehen hatte Glasgow schon immer eine sehr fruchtbare Szene. Manchmal mehr, manchmal weniger. Zufälligerweise sind gerade in den letzten fünf Jahren – was wirklich nichts mit unserer Arbeit zu tun hatte – überdurchschnittlich viele gute Bands dieser Szene entsprungen. Du darfst übrigens Jesus & The Mary Chain in deiner Aufzählung nicht vergessen. Wie auch immer, niemand wird dir widersprechen, dass verdammt viele populäre Bands in Glasgow angesiedelt sind. Wir als Label mit dieser Situation zufrieden, denn wir konnten uns in einer Stadt entwickeln, die über eine gute Infrastruktur, d.h. Bands, Bars und Clubs, verfügt. Da hatten wir Glück.“
Also kam euch nie der Gedanke, nach London umziehen? Immerhin sitzen dort die meisten der britischen Plattenfirmen.
Stewart: „Erstens ist das kein Thema, zweitens ist es nicht vonnöten. Wir leben in Glasgow und fühlen uns hier wohl. Ich habe das schon sehr oft in Interviews gesagt: Es ist wichtig festzuhalten, dass wir nicht als Glasgow-Label angesehen werden, sondern als internationale Firma, die zufälligerweise in Glasgow sitzt. Das ist ein grosser Unterschied. Würden wir nach London umziehen, wäre das Selbstmord. Wir würden wie im Sumpf untergehen.“
Alun: „Ich kann mir gut vorstellen, mal eine Filiale in London zu eröffnen – mit einem Abgesandten, der sich speziell um die dortigen Medien kümmert. Das würde Sinn machen. Ich wollte bereits nach London ziehen, da meine Freundin einen Job bei der Regierung in Aussicht gestellt bekam. Leider kam es nicht dazu, da Schottland eine eigene Regierung bekam. Jedoch arbeiten wir derzeit daran, in den Staaten ein Büro zu eröffnen. Warum auch nicht? Es spricht nichts dagegen zu expandieren.“
Wird es nicht immer schwieriger, eine Band wie Mogwai zu halten? Die müssten doch einige Angebote vorliegen haben.
Alun: „Das wird unmöglich bzw. war unmöglich. Sie haben uns nämlich just verlassen und bei Play It Again Sam unterschrieben. Ja, es ist verdammt schwierig. Sie boten ihnen viel Geld, mehr als wir ihnen je hätten bieten können. PIAS hat viel Geld in der Hinterhand und pumpt es in Mogwai. Eine Band muss freiwillig auf einem Label sein wollen. Das ist der springende Punkt. Wenn sie gehen will, musst du sie ziehen lassen. Das war mit Arab Strap das selbe Problem. Wir boten ihnen die gleiche Summe, aber sie wollten unbedingt gehen.“
Stewart: „Dass sie jetzt zurückgekehrt sind, freut mich ungemein und gibt mir Selbstvertrauen. Am liebsten würde ich aufstehen und sagen: ‚Na, habt ihr das gesehen. Denkt mal darüber nach!‘ Finanziell gesehen wird es für uns immer schwer sein, mit anderen Labels zu konkurrieren. Daher wollen wir unsere Bands wenigstens mit Respekt behandeln und anderen Firmen damit Konkurrenz machen. Es ist auch wichtig, dass die Delgados jetzt ein erfolgreiches Album abliefern, schliesslich werden wir das Geld sofort wieder in das Label stecken und nicht in unsere eigene Tasche.“
Im Sommer ’99 kamen Mogwai auf die glorreiche Idee, mit dem „Blur are shite“-Shirt die Presselandschaft etwas aufzumischen und für viele Diskussionen zu sorgen. Was habt ihr von dieser Aktion gehalten?
Alun: „Ich persönlich fand es extrem dumm und hasse solche Sachen. Es gab keinerlei Anlass. Ich bin zwar kein grosser Blur-Fan, aber ich mag ein paar ihrer Songs. Es war billig und kindisch.“
Stewart: „Eigentlich sage ich nie was dazu, insofern spricht meine Stille Bände. Wenn sie wirklich vor hatten, etwas Kontroverses zu tun und Gesprächsthema in der Presse zu sein, dann waren sie smart und haben dieses Ziel erreicht. Doch sie müssen diese Lektion noch lernen. Sie präsentieren sich mit ihrer Musik als Band, die ernst genommen werden will, gleichzeitig aber sind sie manchmal so dermassen naiv. Das beisst sich. (…) Eine solche Aktion ist natürlich ein gefundenes Fresse für NME. Ich sage nur: Wenn sie sich durchsetzen wollen, müssen sie sich den Leuten gegenüber öffnen und sich vom Image eines vom NME gehypten Acts lösen. Das reicht auf Dauer nämlich nicht. Das wird ihre grösste Hürde. (…) Stuart (Braithwaite, Gitarrist bei Mogwai – der Verf.) ist jetzt 21 Jahre alt und ich kenne ihn relativ lange. Erst reden, dann denken heisst oft seine Devise. Und das lässt sich leider auf die Band übertragen.“
Ein kleiner Blick in die Zukunft zum Abschluss des Interviews. Was seht ihr? Welche Pläne habt ihr?
Alun: „Wir müssen einige unserer Bands etablieren, so dass wir auf lange Sicht hin überleben können. Das Labelprofil muss zudem anwachsen. Ebenso wie unser Zielpublikum. Es ist ganz einfach: Wir brauchen mehr erfolgreiche Bands. Mit Bands, die 1.000 oder 2.000 Einheiten absetzen, können wir nicht überleben. Unsere derzeitigen Bands haben jedoch das Potential für mehr.“
Stewart: „Wir können uns keine Pleiten leisten, da uns dazu das Geld fehlt. Indepeniente können es sich zum Beispiel erlauben, jeden Scheiss zu veröffentlichen, da sie Travis als unter Vertrag haben. Bei uns ist das anders. Sollte jetzt jede Veröffentlichung floppen, dann ist es innerhalb eines Jahres aus. Wir müssen realistisch bleiben und uns unserer Position bewusst sein. Jede Band könnte theoretisch als nächstes fett rauskommen. Wir haben wirklich gute Alben in den Startlöchern sitzen.“
Ihr macht euch verstärkt Gedanken darüber, ob eine neue Band gut verkauft…
Alun: „Nein, das war nie ein Kriterium. Geld spielt in diesem Entscheidungsprozess keinerlei Rolle. Sobald eine Band gut ist, sind sie bei uns willkommen. Würden wir nur 20 ihrer Singles verkaufen, wäre es auch gut. Wir müssen an die Band glauben und in sie Vertrauen haben. Das reicht. Wir hatten schon von einigen Bands Demos bekommen, die wir ablehnten und später Tausende von Alben absetzen konnten. Dennoch haben wir es nicht bereut, da wir nicht an sie glaubten und das mit zu vielen Kompromissen verbunden gewesen wäre. Scheisse verkauft sich, aber nicht mit uns.“
Stewart: „Ich kümmere mich um die Buchhaltung in diesem Laden, was so ziemlich das schlimmste ist, was man machen kann. Ich könnte mich morgens nicht motivieren, wenn ich nicht wüsste, dass es mir Spass macht und dass es sich lohnt. Hätten wir Bands, hinter denen wir nicht 100%ig stehen würden, könnte ich diese immense Kraft nicht aufwenden.“
Alun: „Apropos, ich kann mich daran erinnern, dass wir mal ein Demo von Sigur Ros bekamen und es ablehnten. Ich mag ihre EP („Svefn-G-Englar“ auf Fat Cat Records erschienen – der Verf.), aber das Demo war nicht sonderlich gelungen. Da siehst du wieder, dass sich eine Band ständig entwickelt und besser und besser wird.“
Oder auch umgekehrt, siehe … nun, so ziemlich alle Bands, die mit ihrem Debüt den Durchbruch schaffen.
Kai Florian Becker (Frühjahr 2000)