Bosse: Inspiration in Umbrien

Erfolg wie auch Misserfolg zählen nicht, wenn die Arbeiten am nächsten Album beginnen. Das zumindest behauptet der in Berlin lebende Musiker und Sänger Axel Bosse. Mitte Februar erschien sein sechstes Studioalbum „Engtanz“, das es auf Anhieb auf Platz eins der deutschen Charts schaffte. Ich sprach mit Bosse.

Gab es für „Engtanz“ einen Masterplan? Hatten Sie eine bestimmte Vorstellung, wie das Album klingen sollte und wovon die Texte handeln sollten?
Ich hatte fast schon bei der Abgabe des Vorgängeralbums „Kraniche“ mit den ersten neuen Songs angefangen. „Mordor“ und „Blicke“ waren die ersten. Als ich „Blicke“ fertig hatte, war mir bewusst, dass ich ein Album zur Überschrift „Das Ende meiner Jugend“ machen möchte. Das war etwas, über das ich noch nicht gesungen hatte. Dieser Masterplan ist am Ende nicht ganz aufgegangen. Aber es geht hier und da schon um Probleme, von denen ich mit 22 Jahren noch keine Ahnung hatte: um verpasste Chancen, von den ersten Freunden Abschied zu nehmen, sich selber zu stellen und herauszufinden, dass man nur glücklich sein kann, wenn man mit allem aufgeräumt hat.

Waren die Erfolge mit „Kraniche“ beflügelnd, oder verkrampft man als Künstler ob der damit einhergehenden hohen Erwartungen?
Ich fand das schon beflügelnd. Wobei ich sagen muss, dass sich trotz der vielen verkauften „Kraniche“-Alben an der Entstehung von „Engtanz“ nicht grundsätzlich etwas änderte. Wenn man ein neues Album angeht, ist einem eigentlich egal, was vorher war. Man fängt jedes Mal wieder bei null an. Ich muss mich nur immer wieder an den Punkt bringen, dass ich vergesse, was war. Ich muss alles ausschalten, damit ich so frei wie möglich mit einem leeren Blatt Papier und der Gitarre neue Musik machen kann. Dabei spielt für mich Erfolg bzw. Misserfolg keinerlei Rolle.

Zur Zeit von „Kraniche“ lebten Sie die eine Hälfte des Jahres in Deutschland und die andere in Istanbul. Ist dem immer noch so?
Nein, seinerzeit drehte mein Frau regelmäßig in Istanbul. Das ist nicht mehr der Fall. Außerdem geht unsere Tochter seit drei, vier Jahren zur Schule. Wir können daher nicht mehr so viel pendeln. Ich arbeitete einerseits viel in Hamburg, habe das Album aber zu 80 Prozent in Umbrien aufgenommen.

Ist es denn von Belang, wo Ihre Lieder entstehen?
Es ist völlig gleich. Entweder man hat etwas zu sagen, eine Idee und Glück beim Songschreiben – oder eben nicht. Die Umgebung ist mir immer egal gewesen. Umbrien war insofern eine gut Wahl, weil ich da weit genug weg von meinem normalen Leben war. Ich sagte meiner Familie: „Schaut, ich bin jetzt anderthalb Wochen weg zum Arbeiten, und wenn ich zurück bin, bin ich wieder voll und ganz für euch da.“ Das ist eine gute Methode. In Umbrien wohnte ich in einem alten Steinhaus, stand früh morgens auf und atmete die frische Landluft ein. Ich war dort mit meinem Produzenten Philipp Steinke. Er saß drinnen und tüftelte, ich war unterdessen draußen im Freien und textete. Da schaffte ich in knapp zwei Wochen so viel wie ich in Deutschland in einem Viertel- oder in einem halben Jahr gemacht bekomme. Wir machten den ganzen Tag Musik, tranken abends noch einen Wein und gingen danach pennen. Das war der einzige Vorteil von Umbrien.

Muss Ihre Frau Ihre Songs mögen? Wie reagieren Sie, wenn sie einen Song schlecht findet? Überarbeiten sie ihn dann?
Das kommt ganz drauf an. Manchmal bin ich weich und verunsichert. Wenn sich dann irgendwer negativ äußert, falle ich um. Selbst wenn es nur irgendein Nachbar von mir wäre, würde ich den Song wegschmeißen. Manchmal bin ich auch so gut gewappnet, dann ist es mir egal, was andere sagen. Generell ist meine Frau aber superkritisch und findet nicht alles gut, was ich mache. Da müssen wir dann alle durch. Sie kommt eben aus einer komplett anderen Richtung: Hardcore und HipHop nämlich. (lacht) Sie hat sich sicherlich nicht in mich verliebt, weil ich ein guter Musiker bin. (lacht)

Kai Florian Becker (März 2016)