Heinz Strunk: Schicksalsgerechtigkeit

Ein Jahr dauerte es, bis die literarische Antwort auf Charlotte Roches Erfolgsroman „Feuchtgebiete“ vorlag. Heinz Strunk nahm sich dieser Aufgabe an und schrieb „Fleckenteufel“. Der Humorist veröffentlichte gerade nach „Fleisch ist mein Gemüse“ und „Die Zunge Europas“ eben diesen, seinen dritten Roman.

Im Herbst erschien „Die Zunge Europas“, just folgte „Fleckenteufel“. Sie legen ein immenses Arbeitspensum vor. Geht Ihnen das Schreiben so leicht von der Hand?
Strunk: „Überhaupt nicht. Aber es ging nicht anders. Mein Verlag hatte ja ‚Fleckenteufel‘ als literarische Replik auf ‚Feuchtgebiete‘ angekündigt. Da musste das Buch natürlich erscheinen, solange das Thema noch einigermaßen ‚hot‘ ist. Wenn ich noch länger gewartet hätte, wäre ich vielleicht auch nicht der Erste gewesen, der sich dieses Themas angenommen hätte.“

Sehen Sie denn „Fleckenteufel“ als Antwort auf „Feuchtgebiete“?
Strunk: „Nein, es ist nur aus Marketinggründen als solche angekündigt worden. Was schon etwas gebracht hat, denn die Erstauflage liegt bei 100.000 Exemplaren.“

Wann genau kam Ihnen die Idee zu diesem Buch – bereits vor oder erst nach dem Erscheinen von Roches Werk?
Strunk: „Ihr Buch war eindeutig die Motivation für mich, diese Geschichte zu schreiben. Ich muss aber anfügen, dass ich mir über die letzten zehn Jahre eine gewisse Kernkompetenz erarbeite habe, was das Thema ‚Pippi-Kacka-Schwuli-Wichsi-Kotzi‘ anbelangt. Allerdings her durch Hörspiele. Insofern war ‚Feuchtgebiete‘ die willkommene Gelegenheit, mir mein Monopol in dem Bereich zurückerobern.“

Ihre Hauptfigur ist der 16-jährige Thorsten Bruhn, der sich nach Liebe und Sex sehnt und von Schuldgefühlen geplagt ist. Haben Sie Mitleid mit Thorsten oder können Sie über ihn lachen?
Strunk: „Beides. Das ist ja auch der Grund, warum ich überhaupt Humorist geworden bin. Ich benutze Humor als Antwort auf die Melancholie, um diese zu überwinden oder abzumildern. Insofern liegt beides sehr eng beisammen. Wenn man sich selbst so ernst nimmt, wie man sich häufig fühlt, dann wird es ja komplett unerträglich. Die Antwort darauf ist der Humor.“

Thorsten wäre jetzt in Ihrem Alter. Wie ergeht es ihm denn heute? Oder anders gefragt: Wie autobiografisch ist Ihr Roman?
Strunk: „Da ich mich hemmungslos aus meinem biografischen Fundus bedient habe, wird es Thorsten heute ungefähr so gehen wie mir.“

Also hat es rein autobiografische und keineswegs politische Beweggründe, dass Ihr Roman im Sommer 1977, kurz vor dem Deutschen Herbst, spielt?
Strunk: „Genau. Schreiben hat bei mir weniger autotherapeutische Aspekte. Ich will aus brach liegender Vergangenheit etwas machen. Mir war auch wichtig, dem Buch ein poetisch schönes Ende zu geben. Das wird eingeläutet durch den Tod von Elvis Presley. Diese Kunde hatte uns damals tatsächlich im Ferienlager erreicht und uns in kollektive Trauer versetzt, wie sie sich Jahre später beim Tode Lady Dis wiederholte.“

Stichwort „brach liegende Vergangenheit“. Haben Sie durch das Schreiben aus den unschönen Passagen ihres Lebens etwas Positives saugen können?
Strunk: „Das kann man so sagen. Das trifft auf meinen ersten Roman, ‚Fleisch ist mein Gemüse‘ und damit die Zeit als Tanzmusiker sogar noch stärker zu. Es war eine große Genugtuung und Freude, dass ich aus dieser toten Zeit meines Lebens etwas habe machen können. Das war für mich ja seinerzeit das Zünglein an der Waage. Als ich mit meinem ersten Roman anfing, war ich gerade 40 Jahre alt geworden und dachte: Jetzt ist der Zug abgefahren. Als ich dann einen solchen Erfolg mit dem Buch hatte, wusste ich, dass es zumindest gelegentlich so etwas wie Schicksalsgerechtigkeit gibt.“

Kai Florian Becker (Januar 2009)