Nick Cave & The Bad Seeds: Skeleton Tree

Als im Februar 2013 „Push The Sky Away“ auf den Markt kam, kam die Frage auf, ob Nick Cave & The Bad Seeds dieses je übertreffen werden können. „Push The Sky Away“ ist auch viele Monate nach seinem Erscheinen noch das bis dato beste Werk der Band, da unglaublich intensiv, spannend und lebendig. Als im Juli des vergangenen Jahres Nick Caves 15-jähriger Sohn Arthur, einer von Vieren, in der Nähe seiner Heimatstadt Brighton von einer Klippe stürzte und verstarb, war offen, ob und wann die Band ein weiteres Album aufnehmen werde. Denn wie würde der Mann, der sich in seinen Texten häufig mit der düsteren Seite des Lebens befasst, dieses Unglück verarbeiten?

Hört man das neue Album „Skeleton Tree“ (Bad Seed Ltd/Kobalt Label Services/Rough Trade), so sind die Wut und die Trauer von „Push The Sky Away“ der Melancholie und der Trauer gewichen (siehe das Titelstück). Es kann nur darüber spekuliert werden, ob der tragische Tod seines Sohnes dafür verantwortlich zu machen ist, da die Songs zwischen Ende 2014 und Anfang 2016 aufgenommen wurden – also vor und nach dem Unglück. In „I Need You“ besingt er zwar eine Frau, doch die folgenden Zeilen könnten auch seinem verstorbenen Sohn gewidmet sein: „Nothing really matters / When the one you love is gone / It’s still in me / Baby I need you / In my heart / I need you“.

Die Songs sind gemäßigt und sanft. Die Synthesizer spielen eine wesentlich größere Rolle als die Gitarre. Es ist ein komplexes und herausforderndes Album, auf dem auch eine Sopranistin ihren Auftritt hat: die Dänin Else Torp in „Distant Sky“.
Bei den abschließenden Studiosessions in London entstanden zugleich die Aufnahmen für den Dokumentarfilm „One More time With Feeling“. Der wurde auf dem Filmfestival in Venedig uraufgeführt und am 8. September weltweit in ausgewählten Kinos gezeigt. Er lief in mehreren deutschen Kinos, aber leider in keinem einzigen saarländischen – was immerhin noch nachgeholt werden soll.
Cave hatte Andrew Dominik als Regisseur auserkoren. Dazu Dominik: „Als Nick mich darauf ansprach sah ich ihn gerade ziemlich oft, da wir uns nach dem Tod seines Sohnes um ihn und seine Familie kümmerten. Meine unmittelbare Reaktion war: ‚Warum willst du das machen?’. Nick sagte mir, er wolle einige Dinge loswerden, aber er wisse nicht, wem er sie sagen sollte. Ein traditionelles Interview sei einfach nicht machbar, aber er habe dennoch das Bedürfnis, den Leuten, die seine Musik lieben, den Stand der Dinge verständlich zu machen. Es erschien mir als sei er gefangen.“ Mit den letzten Worten auf dem Album im Nachklang – „And it’s all right now“ (aus „Skeleton Tree“) – bleibt zu hoffen, dass sich Cave mit der Vollendung des Films und dieses Albums aus seiner vermeintlichen Gefangenschaft befreien konnte.

Kai Florian Becker (September 2016)