Flo Morrissey: Sehr wissbegierig

Flo Morrissey, an Weihnachten 1994 geboren, wuchs als zweitältestes von neun Kindern im Londoner Stadtteil Notting Hill auf. Mit 14 Jahren begann sie, Gitarre zu spielen und eigene Songideen zu entwickeln. Sie brach bald darauf die Schule ab, um sich auf ihre Karriere zu konzentrieren. Vor einigen Wochen erschien „Tomorrow Will Be Beautiful“, das Debütalbum der Singer-Songwriterin.

Wie war es, in dem berühmten Londoner Stadtteil Notting Hill aufzuwachsen?
London ist ein seltsamer, aufregender Ort, um dort aufzuwachsen. Es ist aber inspirierend, wie viel dir dort geboten wird. Zudem wohnte ich in der Nähe von wunderschönen Parks und viel Natur. Aber ich war nie Teil einer Notting Hill-Gesellschaft oder einer Gruppe gleichdenkender Menschen, die ähnliche Interessen haben. Insofern kann es dort auch anstrengend sein, das Beste aus allem zu machen. Aber vor einigen Wochen bin ich nach Paris gezogen.

Können Sie uns verraten, wie es war, mit acht Geschwistern unter einem Dach zu leben?
Die meiste Zeit beschäftigten wir uns mit uns selbst; wir mochten uns eben. Unser Zusammenleben hatte eine ganz eigene Dynamik, die schwer zu beschreiben ist. Sie alle sind meine Lieblingsmenschen. Wir fühlen uns fast wie eine eigene Sippe.

Wann entdeckten Sie Ihr Interesse an der Musik?
Ich wusste immer, was ich wollte. Von daher griff ich mit 14 Jahren zur Gitarre und begann sogleich eigene Songs zu schreiben. Bob Dylan war ein großer Einfluss seinerzeit. Ich dachte mir, es wäre gut, ich könnte mich selbst begleiten, nahm also die Gitarre und ging von da an auf musikalische Entdeckungsreise.

Mit 14 Jahren die ersten Songs zu komponieren, das ist früh. Sie müssen sehr wissbegierig und talentiert gewesen sein…
Ich war definitiv wissbegierig. Ich hatte von klein an eine große Vorstellungskraft und suchte immer neue Wege, meine Sensitivität zum Ausdruck zu bringen. Das Schöne ist, dass ich spüre, wie meine Erfahrungen als Songschreiberin und meine Erfahrungen als Mensch sich gegenseitig formen, positiv aufeinander einwirken, sich umeinander schlängeln und mir helfen, meinen nächsten Schritt zu machen. Ich hoffe, Sie verstehen, was ich damit sagen will…

Ja, durchaus. Hatten Ihre Eltern Sie dabei unterstützt, Musikerin werden zu wollen?
Immer. Ich bin auch äußerst dankbar, wie unterstützend sie stets waren. Sie hatten mir vertraut, dass ich nicht den ganzen Tag faul rumsitze. Schon mit 14 Jahren habe ich eigene Songs bei Myspace hochgeladen. Ich hatte von Beginn an Spaß daran, sie mit der Welt zu teilen. Meine Eltern ließen mich tatsächlich mein Ding machen und standen mir immer bei.

Nachdem Sie die Schule verlassen hatten, ging alles sehr schnell: Videoclip, Plattenvertrag, Studioaufnahmen in Los Angeles… Können Sie das alles schon begreifen?
Wenn man früh anfängt, fühlt sich alles sehr natürlich an. Mein Leben hat mir immer auf ganz natürliche Art gezeigt, in welche Richtung es sich weiterentwickeln wird. Ich war etwa bis zu diesem Jahr nie auf Tournee. Jetzt habe ich meine erste Tour fast hinter mir. Diese Erfahrung war seltsam und es brauchte Zeit, sich an sie zu gewöhnen. Aber es fühlt sich so an, als wäre es das, wozu ich bestimmt bin.

Sie sind 20 Jahre jung. Wen fragen Sie um Rat, wenn es um Ihren nächsten Karriereschritt geht?
Mein Vater und meine Mutter sind sehr inspirierend. Ich vertraue ihnen, und wir pflegen einen engen Kontakt. Aber eigentlich kennen wir die Antworten und kleinen Weisheiten doch alle selbst. Von daher habe ich gelernt, auf mein Bauchgefühl zu hören. Ich habe das Nest mittlerweile verlassen und lebe mein eigenes Leben. Ich muss nun selbst sehr wichtige Entscheidungen treffen. Was sich gut anfühlt. Ich hatte diese Fähigkeit schon länger, konnte sie nur nie ausleben.

Verfolgen Sie aktuelle Musiktrends? Wen finden Sie derzeit inspirierend?
Ich liebe Beach House, Tobias Jesso Jr. und Ibeyi. Vor beiden Letztgenannten spielte ich in diesem Jahr auch schon. Und mit Ibeyi werde ich demnächst in Paris einen Tee trinken gehen. Außerdem stehe ich auf Matthew E. White und die Musik meiner Freunde von Hidden Charms. Es gibt viel tolle Musik.

Ihre Kleidung erinnert an die Hippie-Ära. Was verbindet Sie mit dieser Zeit?
Lustigerweise trage ich oft diese Kleider ohne mich bewusst von Büchern oder Fotos von Woodstock oder dergleichen inspirieren gelassen zu haben. Das wird mir erst jetzt langsam bewusst. Vielleicht war ich in einem früheren Leben schon mal dort. (lacht)

Gehen Sie eigentlich allein oder mit Band auf die Bühne?
Bisher meistens alleine. Doch in letzter Zeit habe ich öfters mal zwei fantastische Begleitmusiker dabei: einen Cellisten und einen Multiinstrumentalisten, der Gitarre und Piano spielt. Mit den beiden macht es unheimlich Spaß. Es ist unterschiedlich, ob ich alleine oder in Begleitung spiele.

Haben sie Lampenfieber?
Ja, es ist jedoch besser geworden. Um ehrlich zu sein, würde ich mir Sorgen machen, wenn ich kein Lampenfieber hätte. Dieser Adrenalinschub ist großartig. Ich möchte, dass mein Auftritt für beide Seiten eine tolle Erfahrung ist: für die Fans wie für mich. Insofern stachelt mich das Lampenfieber an.

Kai Florian Becker (November 2015)