Graveyard: Dreidimensionale Musik

Classic Rock, Stoner Rock, Blues Rock… Ganz gleich welcher Schublade Graveyard zugeordnet werden, ihre Musik zitiert den Rock der Siebziger Jahre und klingt alles andere als neuzeitig. Gegründet wurde die Band anno 2006 in Göteborg. Ende September veröffentlichten die vier Schweden ihr viertes Album „Innocence & Decadence“. Das Interview mit Gitarrist Jonatan Larocca-Ramm fand zwei Tage vorher statt.

In zwei Tagen kommt das neue Album in den Handel. Sind Sie nervös?
Nein, nicht wirklich. Wir machen darauf nicht viel anders wie auf den vorherigen Alben. Wir versuchten lediglich, sehr gute Songs zu schreiben und dabei Spaß zu haben. Hoffentlich gefällt es den Leuten.

Ihr Album „Hisingen Blues“ eroberte anno 2011 Platz eins der schwedischen Charts. Im Jahr darauf stand „Lights Out“ auf Platz drei. Wie hoch sind die Erwartungen an „Innocence & Decadence“?
Ich hoffe, wir werden dieses Mal noch mehr Leute mit unserer Musik erreichen können. Sie werden sie hoffentlich mögen. Sie hat sich etwas verändert, wobei sie dennoch eindeutig nach Graveyard klingt. Ich weiß nicht, was wir als Band darüber hinaus erwarten sollen.

Zwischen „Hisingen Blues“ und „Lights Out“ lag nur ein Jahr. Diesmal vergingen drei Jahre, ehe das Album fertig war. Warum?
Wir sind viel getourt, und im letzten Herbst gönnten wir uns auch mal eine Auszeit, um in Ruhe neue Songs zu schreiben. Das war das erste Mal, dass wir nicht irgendwo unterwegs waren und Konzerte gaben. Wir konnten uns endlich alleinig aufs Songschreiben und die Aufnahmen konzentrieren. Das war schön. Letztere fanden im April und Mai dieses Jahres statt.

Eine der Tourneen war im Vorprogramm von Soundgarden…
Oh ja, das war toll. Es war eine Ehre, eine so große Band zu supporten. Wir spielten in großartigen Hallen. Sie waren überaus freundlich und zuvorkommend zu uns. Ihr Bassist (Ben Shepherd – Anm. d. Verf.) schenkte unserem Bassisten Rikard Eklund sogar sein Instrument, einen Rickenbacker-Bass. Eine tolle Geste.

Im August traten sie zudem mit dem ehemaligen Guns’n’Roses-Gitarristen Slash auf. Wie kam das zustande?
Das wussten wir zuerst gar nicht. Die Show wurde kurzfristig gebucht, und wir wurden auch erst einige wenige Tage vorher darüber informiert, dass wir als Begleitband von Slash agieren sollten. Zwei Tage lang studierten wir mit ihm die drei Coversongs „Helter Skelter“, „Fortunate Son“ und „Children Of The Grave“ ein. Das alles war sehr überraschend. Wir sind ja öfters in coole Aktionen involviert, doch in dem jeweiligen Moment realisiert man meist gar nicht, was da gerade passiert. Nachdem wir mit ihm die drei Songs gespielt hatten, gaben wir noch ein paar eigene Lieder zum Besten.

Sie erwähnten bereits Eklund. Er war Mitbegründer von Graveyard, verließ die Band allerdings Ende letzten Jahres. War es schwer, das zu verdauen?
So etwas ist immer schwer. Natürlich ist es anders ohne ihn. Andererseits müssen wir weitermachen. Es kommt halt vor, dass man sich im Laufe einer Entwicklung auseinanderlebt. Das war natürlich nicht unser Plan, aber so kam es eben. Traurig ist es dennoch. Glücklicherweise fanden wir in Truls Mörck den bestmöglichen Ersatz.

Mörck war früher schon als Sänger und Gitarrist Mitglied von Graveyard, nun spielt er Bass.
Ja, genau. Wir hatten einige Bassisten ausprobiert. Eines Tages waren wir im Studio zugange und wollten einen Bassisten dabei haben, um zu sehen, wie die Band in ihrer Gänze klingt. Wir riefen Truls an, weil wir wussten, dass er in der Nähe an seinem eigenen Projekt arbeitete. Er kam vorbei und es klang fantastisch. Er ist ein toller Kerl und großartiger Musiker, also baten wir ihn, sich uns wieder anzuschließen.

Gab es für die Aufnahmen einen Masterplan?
Wir wollten einen sehr offenen Sound, damit zwischen den Instrumenten noch Raum ist und der Hörer einen dreidimensionalen Eindruck von unserer Musik bekommt. Das versuchten wir in einem großen Studio in Stockholm umzusetzen. Dabei sollte auch der spezielle Raumklang eingefangen werden. Das war neu für uns. Zudem hatten wir einen neuen Produzenten und Toningenieur. Das war ebenfalls eine neue und sehr angenehme Erfahrung.

In der Ballade „Far Too Gone“ sind Sie erstmals als Hauptsänger zu hören.
Ja, das ist tatsächlich das erste Mal. Bis dato habe ich mich nie wohl dabei gefühlt. Ich weiß auch nicht, ob ich es heute tue. Ich wurde oft gebeten, doch mal zu singen. Nun ließ ich mich breitschlagen. „Far Too Gone“ ist ein langsamer Blues-Song und handelt von der Tatsache, dass immer wieder Menschen aus deinem Leben verschwinden. Das ist der traurigste Teil unseres Lebens, mit dem wir alle klarkommen müssen.

Kai Florian Becker (November 2015)